Dieser Streifzug durch die Fauna und Flora des aktuellen
deutschen Films beginnt mit Harald Mühlbeyers Festivalrundkurs der letzten
Jahre, auf dem er Bemerkenswertes wie Kritisierbares gefunden hat. Ergebnis
seiner Reise sind nicht nur Bruch- und Fundstücke, sondern eine filmkritische
Tendenzsymptomatik.
Dem deutschen Film aus Festivalsicht widmen sich
anschließend Profis. Sebastian Brose und Hajo Schäfer, Begründer und Leiter des
Filmfests achtung berlin – new berlin
film award, werfen aus ihrer Perspektive einen Blick auf das Filmschaffen
und -angebot in der Region Berlin, beschreiben die Probleme und Erfolge des
deutschen Kinos und kommen gerade hinsichtlich junger Macher und Newcomer zu
einem optimistischen Ergebnis.
Film findet freilich nicht nur im Kino statt, sondern gerade
hierzulande auch in erheblichem Maße in der Filmkritik – den Rezensionen der
Zeitungen und Zeitschriften, aber auch stark und immer stärker im World Wide
Web. Sonst stünde jener Filmwissenschaftler und Redakteur unglücklich da, der
im kleineren Kreis verlauten ließ, er befasse sich erst wieder mit dem
deutschen Film, wenn die Deutschen gelernt hätten, Filme zu drehen: Wer also
kann ihm Bescheid geben, wann es soweit ist und er aus seinem Dornröschenschlaf
wieder erwachen darf? In zwei Beiträgen beschreiben und kommentieren Thomas Rothschild
und Rüdiger Suchland in dieser Hinsicht die Bedeutung und Arbeitsbedingungen
der Filmkritik in Zeiten, in denen Printmedien als erstes an ihren Rezensenten
sparen und zugleich jeder im Netz publizieren kann. Selbst wenn er’s nicht
kann.
Im zweiten Teil des Bandes, der sich mit den Inhalten und
nicht zuletzt medialen Strukturen befasst, wirft Georg Seeßlen einen Blick auf
die Lachkultur in Deutschland. Nichts ist ja so heimatverbunden und -bedingt
wie der Humor, ob nun hinsichtlich einer historischen Genealogie oder einer –
wie von Seeßlen skizzierten – von dieser nicht strikt zu trennenden Typologie
mit ihren Themen und Mythen.
Strenger schon als die hiesige Komödie geht es in der
mittlerweile fast legendären (Neuen) Berliner Schule zu, auch wenn deren
Analysen der Verhältnisse gar nicht so herzens- und geisteskalt sind, wie man
es ihr oft andichtet. Julia Quedzuweit untersucht die Filme von Petzold, Köhler,
Schanelec, Heisenberg und anderen auf deren bemerkenswerte filmische Auseinandersetzung
mit der post-1989-kapitalistischen Ideologie hin mit ihren Auswirkungen und Anforderungen
auf bzw. an ein Individuum, dem Individualität zur Performanz und Ware wird.
Dem Fernsehen widmen sich die beiden anschließenden Texte.
Ohne die Sender ist in Deutschland Film nicht zu denken, wobei das
vielschichtige Verhältnis von öffentlich-rechtlichem TV und Kino gerade in den
letzten Jahren alles andere als entspannt ist. Deshalb begibt sich Bernd
Zywietz in das Beziehungs- und Bedingungsdickicht beider Medien, ihrer Macher
und Möglichkeiten, um unter anderem nach der Spezies des bösen Fernsehredakteurs
zu suchen. Eine durchaus ironisch gemeinte, subjektive Irrfahrt mit offenem Reiseziel
und ungewissem Ausgang.
Bernd Schon wiederum bricht eine Lanze für das viel
gescholtene Genre der Scripted Reality im Fernsehen. Er klassifiziert die verschiedenen
Mischformen des Dokumentarischen und Fiktiven und kann dabei aufzeigen, dass
diese Formate und speziell die RTL-Sendung Familien
im Brennpunkt nicht nur in einer langen künstlerischen Tradition mit
ehrvollen Ahnen steht, sondern in ihrer sozialen Wirkung und Bedeutung gerne zu
schnell und argumentativ problematisch abqualifiziert werden.
Der dritte Teil dieses Buches legt den Fokus auf die
umfassende Umwälzung durch die Digitalisierung und deren Bedeutung für die
unterschiedlichsten Bereiche der aktuellen deutschen Films Anfang der 10er
Jahre des neuen Jahrtausends.
Alexander Gajic geht in seinem Beitrag der Frage nach, was
denn tatsächlich die Umstellung von analog auf digital der Filmbranche von der
Produktion in den Hochschulen bis hin zur Projektion in den Kinos gebracht hat
– und kann dabei unter Bezug auf Experten Überraschendes vermelden.
Mit einem verpönten, wenn nicht gar illegalen Phänomen der
oft ausgerufenen „Post-Cinema-Ära“ befasst sich Bernd Zywietz: Raubkopien und
vor allem Streamingwebsites. Was bieten diese Seiten, was macht sie attraktiv
und inwiefern lassen sie sich als eine Art Ersatz- oder Para-Kino auffassen? Weswegen
werfen sie ein schlechtes Bild auf legale Alternativen – und was lässt sich
letztlich doch Gutes von ihnen abschauen?
Der Vergangenheit, zumal der des deutschen Films, wendet
sich Harald Mühlbeyer zu. In seinem Beitrag beleuchtet er die Aufgaben und
Chancen, wenn es um die Vermittlung und Erhaltung des nationalen Filmerbes im
Zeitalter der Nullen und Einsen geht. Dabei spielen technische, materielle wie materiale
Aspekte ebenso eine Rolle wie die Urheberrechtsfrage oder der generelle kulturelle
Status von klassischen Filmkunstwerken zwischen Fernsehausstrahlung und Online-Video-Konsum.
Im letzten Teil von Ansichtssache
geht es um Newcomer und Nachwuchs vor und hinter der Kamera, ihre Erfahrungen
und Visionen; Namen und Gesichter, die man kennt oder die es lohnt, im Blick zu
behalten.
Mit vier jungen Regisseuren als Vertreter einer neuen
Generation befasst sich Bernd Zywietz: Filmemacher, die in der Art der
US-amerikanischen Mumblecore-Szene mit geringen technischen Mitteln und
Improvisation neue und vielleicht zukunftsweisende Wege des Filmemachens
außerhalb des etablierten Systems beschreiten. Jan Georg Schütte, Jakob Lass, dessen
Bruder Tom Lass sowie Axel Ranisch wollen nicht auf Fördergelder warten, machen
ihr eigenes Ding – mit auch ästhetisch spannenden und ausgezeichneten
Ergebnissen.
Sascha Koebner wiederum
hat mit André Erkau (u.a. "Selbstgespräche",
2008) gesprochen, einem Regisseur, der im Bereich des, im besten Sinne,
unterhaltsamen Kinofilms nicht nur mehrfach prämiert wurde, sondern auch
über
die typische Hürde des Nachwuchsregisseurs hinaus ist und mittlerweile
mit "Das Leben ist nichts für Feiglinge" seinen dritten Langspielfilm
präsentiert hat.
Ebenso wie Erkau berichtet Brigitte Bertele ("Nacht vor Augen", 2008; "Der Brand", 2011) von ihren Anfängen, der Ausbildung und
den Herausforderungen des Regisseurslebens – ob bei der Entwicklung und
ästhetischen Umsetzung von Stoffen und der Arbeit mit den Schauspielern oder
dem Suchen und Finden von Filmprojekten zwischen Dokumentation und Fiktion,
zwischen Fernsehen und Kino.
Mit einem ganz und gar eigenwilligen Mehrfach-auteur nicht nur am Rande, sondern jenseits
des traditionellen Filmschaffens hat sich Harald Mühlbeyer unterhalten: Wenzel
Storch, der insbesondere durch seine visuell aufwendigen fantastischen Kulissen
und Kostümen sowie exzentrischen satirischen bis albernen und stets
eigensinnigen Storys bei gleichzeitiger bewusst dilettierender Machart in den
letzten fünfundzwanzig Jahren ein zwar nur schmales, aber umso kultigeres und
von Fans tief verehrtes Oeuvre geschaffen hat. Darüber wie über seine Haltung
zum deutschen Film und Fernsehen gibt Storch Auskunft.
Abschließend präsentieren wir junge Schauspielerinnen und
Schauspieler in Kurzporträts (verfasst von ebenfalls jungen, freilich bewährten
Autoren): Namen und Gesichter, die man kennt oder kennen sollte – die zwar
nicht in irgendeiner Weise repräsentativ sind, gleichwohl für die Qualität, das
Spannende und Entdeckungswerte des aktuellen deutschen Films stehen und ihn
auch künftig sehenswert sein lassen.
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