
Keine langen Nächte unter schattigen Platanen, kein Füßebaumelnlassen im Rhein, kein Sonnenuntergang über dem Wasser, sondern die volle Industriebrache Ludwigshafens. Kein Schönreden dieser Stadt.
Das ist schade, einerseits. Andererseits sieht sich Festivaldirektor Dr. Michael Kötz ohnehin nicht als "Zirkusclown", wie er Screenshot im letzten Jahr in aller Deutlichkeit klarmachte. Wenn die Verpackung sich ändern muss, bleibt der Inhalt doch immer noch gleich; das ist ja die Hauptsache.

Etwa - natürlich - "Oh Boy", die existentialistische Berliner Drifter-Komödie, die den deutschen Filmpreis in diesem Jahr dominiert hat. Oder der hervorragende "Verdingbub", über das Schweizer Verdingwesen, in dem Waisen, Halbwaisen und sonstige Kinder unbarmherzig ausgebeutet wurden, bis in die 1970er Jahre hinein; im Übrigen auch in LU der von mir unterm selben Link besprochene "Ende der Schonzeit", immerhin halb sehenswert.
Großartig: "Draußen ist Sommer" über eine deutsche Familie, die in die Schweiz in ein schönes Haus zieht, um dort die innerfamiliären Beziehungen zu kitten - die nur immer mehr in Scherben zerfallen. Minimalistisch, aber starbesetzt: "Die Libelle und das Nashorn", in dem Fritzi Haberlandt und Mario Adorf eine einsame, gemeinsame Nacht in einem Hotel verbringen.

Dazu: Noch gefühlte hundert weitere Filme, deutsche Kino- und Fernsehproduktionen - von den mir bisher unbekannten vor allem letzteres; gemäß den Statuten des Festivals wird ja nicht nach Aufführungsort entschieden, sondern nach Qualität des Films (womit man auch schlechte Projektion von DVD in Kauf nehmen muss). Auch dies muss nichts Schlechtes sein - beim bloßen Zappen durchs Programm entgehen einem viele Fernsehfilmperlen, die hier aufzuspüren sind.
Unverzeihlich ist im diesjährige Programm nur eines: Dass in der Kinderfilmreihe die unglaublich großartige Tommi-Ungerer-Verfilmung "Der Mondmann" nicht berücksichtigt wurde (immerhin lief ja im letzten Jahr der kongeniale "Die drei Räuber", ebenfalls nach Ungerer, ebenfalls Zeichentrick, ebenfalls wunderbar skurril).
Wem die Filme nicht reichen; wer den Schotter unter den Füßen vergessen will; wer auch das Ambiente ordentlich genießen möchte, dem bietet Michael Kötz auch kulinarische Genüsse an: Unter dem Motto "Sinn und Sinnlichkeit" werden ausgewählte Filme mit Drei-Gang-Menüs verbunden, für den ordentlich kulturbeflissenen Festivalgast; inklusive Handschlag vom Festivaldirektor persönlich. Womit noch einmal ganz klar der (selbstgebastelte) "Zirkusclown"-Vorwurf tatkräftig dementiert wird - und empfiehlt sich im Gegenzug als künftigen Nachfolger von Siegfried Rauch resp. Sascha Hehn.
Harald Mühlbeyer
(der, soweit bisher bekannt, in diesem Jahr wieder eine Akkreditierung erhalten wird)
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