Mittwoch, 5. März 2014

Deutsches Kino auf der Berlinale (III): DIE GELIEBTEN SCHWESTERN

Sie sind zwar schon rum, die diesjährigen Internationalen Filmfestspiele in der Bundeshauptstadt. Doch zu spät es ist es noch lange nicht, sich dem einen oder anderen Werk zu widmen. Sei es hier oder als Zuschauer im Kino. Denn natürlich starten viele Filme erst noch. DIE GELIEBTEN SCHWESTERN etwa haben ihren regulären Leinwandauftritt am 31. Juli, ehe sie, so sieht es aus, als Zweiteiler im Fernsehen zu sehen sein werden. Rund 170 Minuten dauerte der Streifen auf der Berlinale, doch wie Regisseur Dominik Graf auf der Berlinale-Pressekonferenz mitteilte, wird es eine etwas kürzere Kino- und eine etwas längere TV-Fassung geben. Inhaltlich soll sich die eine von der anderen nicht groß unterscheiden. Doch schon die Kutschenfahrten, überhaupt: das Langsame, das aus unserer Rücksicht „Entschleunigte“ des ausgehenden 18. Jahrhundert macht einen großen Reiz des Films aus – „Sturm und Drang“ hin oder her. Ist also die Kinofassung hier tatsächlich mal nur die amphibische Vorverwurstung für die „originäre“ TV-Variante? Mithin DIE GELIEBTEN SCHWESTERN mal wieder ein infamer Fernsehfilm, der aufgeblasen und zu dessen Verstopfung ins deutsche Lichtspielhaus entsandt wurde, der schnöden Förderungsmittel und des Renommees wegen?

Ach, elendige kritische Frage, die fast so alt anmutet wie die Protagonisten und ihre Zeit. Und mitsamt dem Thema und seiner Emotionalität, so scheint’s, ewig aktuell. Und ebenso berechtigt wie unbegründet. Denn schließlich handelt es sich hier um einen Film von Dominik Graf. Den haben wir schon in ANSICHTSSACHE als Sachwalter eines qualitativ hochwertigen, zumindest aber stets spannenden und eigensinnigen deutschen Films (sowie mithin jenseits der Kluft) zwischen hiesigen Kino und TV gepriesen. Folglich dürfen DIE GELIEBTEN SCHWESTERN in jedem der beiden Dispositive zu eigenem Recht kommen, erzählerisch wie ästhetisch.

Das Zweiteilerische ist den GELIEBTEN SCHWESTERN ohnehin ganz natürlich eingeschrieben. Da ist ein ersterer, lustvollerer Part, in dem Charlotte von Lengefeld (gespielt von der mit bildschönen Katzenaugen und famosem Namen gesegneten Henriette Confurius) nach Weimar zu Ihrer Tante (Maja Maranow – man gedenke Grafs genial teilsurrealistischer Fahnder-Folge NACHTWACHE von 1993!) geschickt wird. Der Ehemann-Findung wegen. Doch der schottische Militär, auf den notgedrungen gesetzt wird, ist es nicht so recht, der fesche Jungschriftsteller Friedrich Schiller (auf der Berlinale auch als Jungpriester in Brüggemanns KREUZWEG zu sehen: Florian Stetter) hingegen tritt zwar charmant und lebensprall auf, dafür aber auch recht mittellos. Hilft nichts, Charlotte verguckt sich in ihn. Ebenso wie daheim in der sommerheißen Provinz ihre Schwester Caroline (nicht zu katzenäugig, dafür Confurius nicht zuletzt der Rolle wegen an die Wand spielend: Hannah Herzsprung). Diese hat zur finanziellen Absicherung der ansonsten langsam verarmenden Familie den Herrn von Beulwitz gezweckehelicht, verdreht nun aber zusammen mit Charlotte dem Dichter in Rudolstadt den Kopf. Oder aber dieser den der Schwestern.

Die zunächst keusch-glutvolle Ménage à trois inszeniert Graf mit vergnüglichem Witz und erstaunlicher Verve, wobei die poetische Sprache jener Zeit erstaunlich bodenständig und natürlich wirkt. Tändeln und Schmachten, Anstand und Etikette, das Ausharren der Schwestern am Fenster, wartend (aber bitte nicht so überdeutlich!), auf dass der Herr Schiller sich dem Schlosse über die Furt nähert – hach, was waren das noch Zeiten, so ohne Massenpresse, Fernsehen, Handy. Kein „#Schillergeil“, keine Facebook-Freundschaft, die SMS noch auf Briefpapier, wortvollendet, schön kaligraphiert und wachsversiegelt.

Sicher: Liebesheirat ist da noch eine Luxus (oder ein Skandal), aber gerade das Steife und Gebotene, Gehrock und Musselinkleid, das kultivierte Französisch, das ist für Graf herrliches Spielmaterial für die drei selbstbewussten Hauptfiguren und ihr Körper. Bei der Pressevorführung im Berlinale-Palast konnten einem die ausländischen Kollegen jedenfalls leidtun, die sowohl vom reclamheftigen Sturm-und-Drang-Zeit-Duktus hier, den Dialekten dort (Schwäbisch oder – beim überragenden, nur von Ferne oder aus der Rückansicht ehrfurchtsvoll präsentierten Dichterfürst Goethe: - Frankfurter Hessisch!) nur mitbekamen, was englische Untertitel so vermitteln konnten (nämlich nichts). DIE GELIEBTEN SCHWESTERN werden dröge eindeutig international zu BELOVED SISTERS.

DIE GELIEBTEN SCHWESTERN – ein, zwar nicht FACK JU, aber immerhin doch ein Philipp Stölzl’erischer GOETHE!? Nein. Zwar tritt auch in DIE GELIEBTEN SCHWESTERN der zweite große Natioinalpoet zwar als solcher nicht sonderlich in Erscheinung, er spielt aber ja auch nur die zweite Geige gegenüber den Frauen und überhaupt: Es geht Dominik Graf eben um die komplexe, komplizierte Liebensbeziehung, ihre Lust, aber auch ihre Folgen und Verletzungen, und das in eleganter, klug inspizierender Form, eine, die den großen historischen wie tragischen Bogen nicht scheut, ohne (allzu sehr) Geschichtstelekolleg oder herzeleidiges Melodram zu werden. Die Graf‘schen Griffe, Sichtweisen und Stilismen, sie fügen sich gekonnt in den Stoff ein (oder dieser wird auf sie hin entfaltet): die ironischen (und als solche vom / im Film selbst ironisch kommentierten) Sprachspiele (die stets auch Gesellschaftsspiele sind in jener Epoche), die Überblendungen, die Standbilder der Protagonisten en face... Und als Schiller – Endlich! möcht man rufen, nach all dem Werben und Verlangen – sich mit Caroline der unerhörten, heimlichen Fleischeslust in Löffelchenstellung hingibt, da hat das trotz (oder wegen) des diskreten Verbleibs der Kamera auf den Gesichtern der Schauspieler mehr aufregende, unverblümte Erotik als alle expliziten Sex-Szenen in Lars von Triers NYMPHOMANIAC VOL. 1 (freilich ein ebenfalls gelungener Film, der auch etwas und von etwas anderem erzählt).

Doch Caroline ist ja schon vergeben; Schiller heiratet also Charlotte, für die wiederum der Gatte aber in ihrer Geschwisterliebe und vor allem aus Dankespflicht für Carolines familiendienlicher Zweckehenopfer doch eben irgendwie der Schwester gehört. Weshalb sie sich ihm quasi innerlich entsagt, zunächst. So kommt der zweite Teil, mithin Schillers beruflicher Erfolg. Professur in Jena, Herausgabe der Horen in Tübingen; das Eheleben nimmt seinen Lauf, Kinder werden geboren. Die Räume, auch buchstäblich in der Inszenierung, die Stuben und Kammern in Jena, in Weimar, im Schwäbischen, sie werden eng und dunkel. Auch die Beziehung der Schwestern geht in die Brüche, zueinander, zu sich selbst. Caroline verlässt ihren Mann, feiert mit ihrem Fortsetzungsroman anonym Erfolge, wird Mätresse. Schiller leidet an schlechter Gesundheit. Geschichte eben.

D. Graf (l.) mit seinen drei HauptdarstellerInnen (Foto: Bavaria)
Auch dieser zweite Part ist gelungen, aber in der Länge des Films dann eben doch düsterer, fragmentarischer, eben nicht so sommerlich-beschwingt, bestechend, charmant; der Liebessommer in Thüringen ist vorbei und man vermisst ihn „hintenraus“, weil er so schön war, so romantisch. Aber so ist es eben, im Leben. Auch das ist Graf hoch anzurechnen, der selbst mit seiner immer leicht nuscheligen, angenehm trockenen Stimme den historisierenden Off-Kommentar spricht: dass er die Wahrhaftigkeit im Träumerischen erhält und umgekehrt, dass er die sachliche Chronik eines dreifachen Lebens und Liebens nicht überhöht, sie nicht überzeitlich (v)erklärt und doch universell nicht zuletzt im Auslaufen hinein ins (auch Sitten-)Historische sein lässt, weiterverfolgt – eine Geschichtslektion, deren erstaunlich moderne private Beziehungsgeschichte sowohl kühle Lerndistanz als auch gleichzeitig nicht große, aber feine erwachsene Anrührung zu erzeugen vermag.

Er kann es also, der Graf nicht nur des Fernsehens, des Polizei- pardon: des Polizistenkrimis und -thrillers, von Im Angesicht des Verbrechens oder zuletzt im stilistisch und inhaltlich überbordenden furiosen München-TATORT „Aus der Tiefe der Zeit“ (Buch: Bernd Schwamm). Doch ist das überhaupt eine Überraschung? DAS GELÜBTE über Dichter Clemens Brentano und die Nonne Anna Katharina Emmerick (mit Graf-„regular“ Mišel Matičević sowie Tanja Schleiff) war auch kein „Schulfunk, Kostümschinken, Erbauungsdrama“, und faszinierende Dreiecksfreundschafts- und -liebeskonstellationen untersuchte er ebenfalls bereits, vor allem in DIE FREUNDE DER FREUNDE (2002, nach Henry James, mit einem Prä-RUBBELDIEKATZ Matthias Schweighöfer, mit Sabine Timoteo und, ja auch hier schon: mit Florian Stetter). Buch für all diese Filme, wie auch zu Grafs DREILEBEN-Beitrag KOMM MIR NICHT NACH, zu Grafs DER FELSEN und seiner Trilogie KALTER FRÜHLING, DEINE BESTEN JAHRE, BITTERE UNSCHULD: Markus Busch. Und alles Fernsehen übrigens.

DIE GELIEBTEN SCHWESTERN, mittlerweile auch mit Verleih in den USA, ist also keine Ausnahme, was das Schaffen Grafs anbelangt, so wie so nicht, gottlob.


DIE GELIEBTEN SCHWESTERN (Regie u. Buch: Dominik Graf)
Kinostart:  31. Juli 2014, Verleih: Senator

Bernd Zywietz   

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