Das Elend der Festival-Filminhaltsangaben / Verheißungsvolles
Die Kandidaten für den Langfilmwettbewerb des Max Ophüls
Preis 2015 (19.-25. Januar) stehen fest. Aus 150 Einreichungen wurden 16
ausgewählt, vier davon aus der Schweiz, zwei aus Österreich, dazu eine
Koproduktion der Länder Schweiz, Kroation u. Bosnien.
Auch die Inhaltsbeschreibungen finden sich in der
Pressemitteilung des MOP. Nun sagen solche Angaben wenig über den Film und
seine Qualität aus, oftmals noch nicht mal sonderlich Vieles oder Korrektes
über den Inhalt selbst. Aber diese Kurztexte sind nun mal kleine Pitches, Werbungen um die
Aufmerksamkeit und das Interesse der Leser als potenzielle Zuschauer. Sie
sollten folglich nicht mit Verheißungsvoll-Nichtssagendem einen
Ausblick auf den zweiten, dritten Akt der Filmstory geben, mit abgedroschenen
Wendungen und leeren Phrasen. Filme, in denen X oder Y „droht, den Boden unter den Füßen zu
verlieren“ (CURE – DAS LEBEN EINER ANDEREN), er oder sie wieder mal von etwas „eingeholt
wird“ (in DRIFTEN: die Sucht), um Liebe (Lichtgestalten), Ehe, Familie, gerne
auch Sexualität (UNTER DER HAUT) „kämpfen“. Es gar „Tage der Angst“ (MA FOLIE)
beginnen oder sich – Trommelwirbel bitte! – der „Konflikt dramatisch zuspitzt“
(NACHSPIELZEIT). Solche hingeworfenen Formulierungen verderben die Lust auf die Geschichte und den Film. Wenn Filmemacher, Verleiher, Produzenten oder hier wohl leider letztlich das Festival selbst zu derartigen unverbindlichen Füllern und Hülsen greifen, als gälte es, sich für einen Nebenerwerb als Bastei-Verlagsautor
zu qualifizieren, dann ist das allein deswegen schon
er- und abschreckend, weil hier jemand, der es tunlichst haben sollte, offenbar
selbst kein großes Interesse an seinem Werk oder Produkt demonstriert bzw. an einem, das er selbst auf der Leinwand ausgesucht anbietet.
Gravierender aber noch ist, dass die Paratext symptomatisch begriffen werden könnte. Der jeweilige Film scheint – zurecht oder eben nicht – von der
schlimmen Seuche befallen zu sein, die im aktuellen deutschen Kino in den letzten
Jahren grassiert: die lepröse Finalitis, das Verfaulen, Zerbröseln, Aussuppen
zum / des Film-Schluss(es). Da werden großartige Ideen und Figuren
entwickelt, spannenden Konflikte etabliert und entfaltet, die Dramaturgie famos
komponiert – nur, um dann das ganze Pulver verschossen, beim Schreiben
und Drehen irgendwie nicht ans Ende gedacht (oder zu sehr oder zu wenig auf
betreuende Redakteure vertraut) zu haben, ein Schluss (das ja partout nicht
mal ständig eine „Auflösung“ oder „Schließung“ präsentieren muss).
Bestenfalls
gibt es bei solchen krankenden Filmen noch starke, symbolische Bilder wie in dem ansonsten durchweg sehenswerten
MILLIONEN von Fabian Möhrke. Aber schlüssig, stimmig zumindest bezogen auf Erzählung,
Haltung und Ästhetik, überzeugend, geschweige denn zwingend? Fehlanzeige, leider zu oft. Spiegelt sich darin das
Dilemma des deutschen Talentfördersystems, das sich allzu sehr auf den
Nachwuchs kapriziert, um ihn dann nach dem zweiten, dritten Film sich selbst zu überlassen?
Doch, wie gesagt, die schieren Inhaltsangaben zu den
MOP-Wettbewerbskandidaten müssen nichts heißen, aber wenn das – gerade jüngere, Schlöndorff- und Schweighöfer-ferne – deutsche Kino ein Vermittlungsproblem hat, dann fängt dieses bereits bei solchen Bewerbungen ganz praktisch an. Und wie es sieht
mit angekündigten Stories selbst aus? Da feiert beim ersten Querlesen die Originalität
ebenfalls nicht gerade Urstände, geschweige denn fröhliche. Verlorene Jungen wider das System,
Drifter, obligatorische Kiez-Ethnografie, Dreiecksgeschichten bzw. -konflikte, Kriegsflüchtlinge,
(Homo-)Sex- und Beziehungskomödien oder -dramen (es muss ja nicht „Genre“ sein,
aber zumindest ein Tonalitätsversprechen läse
ich gerne heraus, gerne alleine nur, um mich hinterher geirrt zu haben
und vielleicht sogar überrascht worden zu sein).
Wie sooft täuscht der erste Blick aber, denn
es findet sich viel Verheißungsvolles jenseits des üblichen Deutschfilmfestivalbullshitbingos auch in dieser MOP-Schiene.
Hier ein paar Beispiele frech aus der Pressemitteilung des MOP kopiert und kommentiert:
CONFUSION
Regie: Laurent Nègre
Produktion: Bord Cadre
Films, Koproduktion: Recyclec Tv
Darsteller: Caroline
Gasser, Simon Romang, Dario Galizia, Yacine Nemra,
Thomas Mathys,
Christoph Lanz
Schweiz 2014 | DCP |
Farbe | 71 Min. | Franz. mit dt. UT | Uraufführung
Nach zwei Jahren
erbitterten politischen Kampfes schickt die Genfer Staatsrätin Caroline Gautier
sich an diesem Tag an, einen ehemaligen Guantanamo-Gefangenen zu empfangen, um
ihm im Kanton Genf ein neues Leben zu bieten. Gefolgt von Dario und Yacine,
zwei Filmstudenten, die den glorreichen Tag in einem Porträt festhalten,
bereitet Caroline sich auf ein Ereignis vor, von dem sie annimmt, es werde
reibungslos über die Bühne gehen. Doch nichts läuft wie geplant.
- ein Film, der nicht nur ein Chance wegen des Themas (man denke an Stefan Schallers fulminanten FÜNF JAHRE LEBEN - MOP 2013), der ungewöhnlichen Handlungssituationswahl und angedeuteten Erzählweise verdient,
sondern allein schon wegen des altersschönen „sich anschicken“ im ersten Satz.
DER BAU
Regie: Jochen
Alexander Freydank
Produktion: Mephisto
Film
Darsteller: Axel
Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Devid Striesow, Robert Stadlober, Fritz
Roth, Roeland Wiesnekker
Deutschland 2014 | DCP
| Farbe | 110 Min. | dt. Erstaufführung
Eigentlich hat Franz
alles erreicht: Er hat eine wunderbare Frau, zwei reizende Kinder und einen gut
bezahlten Job. Und dennoch ist da dieses seltsame Gefühl, diese vage
Unsicherheit. Also sucht Franz Schutz in seinem Bau, einem festungsartigen
Wohnkomplex. So sehr er auch versucht, sich zu verschanzen – die Welt da
draußen dringt immer wieder in sein Leben. Er spürt, wie sie hinter ihm her
sind, hinter seinem Leben, seinem Wohlstand. Die Bedrohung wird immer
greifbarer. Sie dürfen ihn nicht finden.
- Paranoia mit Axel Prahl, das Eigenheim als Burg – schräge Gesellschaftskritik
mit Kafka-Touch (auf Kafkas gleichnamige Erzählung basiert der Film)? Kann gespreizt in die Hose gehen, mag aber auch schön skurril
daherkommen. Freydank hat übrigens mit seinem Kurzfilm SPIELZEUGLAND 2009 den
Oscar gewonnen, danach u.a. zwei TATORTE inszeniert. Spricht das für oder gegen die
Wahl, sich DER BAU anzuschauen? Wir werden sehen. (Lief übrigens schon in Warschau und Busan.)
DIE LIEBE UNSERER
ELTERN
Regie: Thomas A. Szabó
Produktion: cut.it
film und postproduktions gmbh, Koproduktion: Filmakademie Baden-Württemberg
Darsteller: Franz
Dinda, Zoe Moore, Vladimir Burlakov, Ludger Pistor, Lena Meckel, Maria Dragus,
David Bredin u. a.
Deutschland 2014 | DCP
| Farbe | 83 Min. | Uraufführung
Die 17-jährige Mia ist
eine Einzelgängerin. Seit dem ungeklärten Tod ihrer Eltern vor zwei Jahren lebt
sie in einem Internat, ihre Zimmergenossin ist ihre einzige Freundin. Doch in
letzter Zeit entwickelt Mia eine seltsame Kraft in sich, die sie nicht so recht
einordnen kann. Eines Tages erscheint ein neuer Lehrer auf der Bildfläche. Der
Neuling hat ein sonderbares Geheimnis: Er ist ein gefallener Engel. Und er muss
in den Gemäuern ein geheimnisvolles Artefakt finden, um die Menschheit zu
retten.
- okay, hundsdummer, weil leider nicht mal nichtssagender, dazu betulicher
Titel. Daily-Soap oder zweiteilige ZDF-Historien-Schmonzette. Auch die Inhaltsangabe: „17-jährige Einzelgängerin“ (gähn), ein Lehrer,
der auf der „Bildfläche“ erscheint (wäre akzeptabel, wenn der Begriff ulkig-altertümlich einen Fernsehröhrenbildschirm meinte). Eine „seltsame Kraft“ – allzu vage. Dass der
„Neuling“ als gefallener Engel ein „sonderbares“ Geheimnis hat, ist hingegen ebenso verlockendes Unterstatement wie jeder Film aus deutschen Landen an sich aufmerksamkeitswürdig, der in „Gemäuern“ (Plural!) spielt. Sicher, noch schöner wäre es,
würde der gefallene Engel die Menschheit (warum auch immer, sind gefallene
Engel nicht eher böswillige Gesellen?) zur Abwechslung mit einem geheimnislosen Artefakt retten wollte. Selbst aber wenn
sich diese Ludwigsburger merkwürdigkeitsübervollen Fantasterei als unterhaltungsmilder Abklatsch diverser
Harry-Potter-Derivate mit zauberstockdünner Story entpuppen sollte, ist er es
doch allein schon deshalb wert, in Augenschein genommen zu werden, weil der
Film die Genre-Kost verspricht, an der man sich hierzulande jenseits des
Kinder- und Jugendkinos immer noch viel zu wenig probiert.
Übrigens: Auf der Website von Uli Aselmanns cut.it film klingt alles ein wenig anders, knackig-knapp, auf den Punkt und doch attrakiv:
„Als der neue Sportlehrer (Franz Dinda) in Mias (Zoe Moore) Internat anfängt, entdeckt die 17-jährige Vollwaise übernatürliche Kräfte in sich. Keiner ahnt, dass es sich bei dem attraktiven Pädagogen um den gefallenen Engel Azrael handelt, der im Auftrag des Engels Jeremiel (Vladimir Burlakov) Mias Kräfte kontrollieren soll, um das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle zu zerstören...“
Dass die Eltern vor zwei Jahren starben, dass ihre Zimmergenossin die einzige Freundin ist, keine solche irrelevanten Infos. Inwiefern ihre Kräfte (nicht: "Kraft") seltsam sind, nämlich: übernatürlich. Spannunsgvolles Auslaufen durch die drei Punkte am Ende. Sicher, das "Keiner ahnt" ist jetzt ebenfalls eher Behelf. Und hier wie da heißt der Film, der in Zusammenarbeit auch mit Pro7Sat1 entstand (was die MOP-Meldung geflissentlich vergießt), immern noch bräsig DIE LIEBE UNSERER ELTERN.
VERFEHLUNG
Regie: Gerd Schneider
Produktion: AV Medien
Penrose GmbH, Koproduktion: Penrose Film GmbH & Co. KG, Reverse Angle
Pictures GmbH
Darsteller: Sebastian
Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Sandra Borgmann, Oskar Bökelmann, Valerie
Koch, Sebastian Kowski u. a.
Deutschland 2014 | DCP
| Farbe | 94 Min. | Uraufführung
Jakob, Dominik und
Oliver sind beste Freunde. Die drei Männer treffen sich oft für ein Spiel auf
dem Fußballplatz oder ein Bierchen in der Kneipe. Und sie haben den gleichen
Beruf: Priester. Alle drei verbindet der feste Glaube daran, in der
katholischen Kirche etwas bewegen zu können. Doch eines Tages wird Dominik
wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs festgenommen. Jakob geht von einem
Irrtum aus. Doch als Dominik ihm seinen "Fehltritt" gesteht, wählt
Jakob den Weg des geringsten Widerstands: Er schweigt.
Pädophile, gar Päderasten-Pater – ein Reizthema, gelinde
gesagt. Und dass hier mal tatsächlich ein Priester deswegen festgenommen
wird, sieht man ja auch nicht alle Tage. Anregend überdies die Besetzung:
Sebastian Blomberg (DIE ZEIT DER KANNIBALEN), Kai Schumann (zuletzt der sanft
kaschierte Karl-Theodor zu Guttenberg in der schönen TV-Posse DER MINISTER) und
Jan Messutat (der widerspenstige Kohlhaas-Mime in Aron Lehmanns KOHLHAAS ODER
DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL). Außerdem hier: ein schöner Abschlusssatz.
Es gilt also: wir dürfen gespannt sein und uns ruhig ein bisschen mehr noch angesprochen fühlen (und werden).
Die ganze Übersicht des Langfilm-Wettbewerb des MOP 2015
finden Sie HIER.
zyw
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen