Mittwoch, 30. Januar 2013

MOP 2013: Der Hauptgewinner und Genrestücke


Dass der kleine Bruder es gut und manchmal auch besser kann, hat sich schon in der Vergangenheit gezeigt. Auch heuer – also 2013 – ging der Haupt-, eben der Max Ophüls Preis wie schon im letzten Jahr (mit MICHAEL von Markus Schleinzer) an einen „Österreicher“:  DER GLANZ DES TAGES von Tizza Covi und Rainer Frimmel zeigt die beiden „Showleute“ Philipp Hochmair und Walter Saabel als – Philipp Hochmair und Walter Saabel, auch, wenn ihre Namen so keine Rolle spielen. Ersterer ist erfolgreicher Theaterdarsteller, der zweite der bislang unbekannte Onkel, ein ehemaliger Zirkusmann (v.a.: Bärenringer), der plötzlich vor der Tür steht. Beide freunden sich an, lassen den anderen an ihrem Leben und dessen Erinnerungen teilhaben; schließlich geht es noch um Hochmairs Nachbarn in Wien, einem osteuropäischen Flüchtling mit seinen Kindern, dessen Frau nicht wieder einreisen kann… Was in DER GLANZ DES TAGES passiert, ist nicht belanglos, aber schlecht oder doch nur falsch zu erzählen. Weil es weniger das Was als das Wie ist, das bestimmend ist, weil er ein Dokument der Beiläufigkeit im besten Sinne ist und darüber hinaus natürlich noch viel mehr bietet, etwa eine sich durchziehende Auseinandersetzung (wenn auch: ohne Konfrontation) mit dem Thema Erziehung in unterschiedlichsten Facetten.

DER GLANZ DES TAGES ist eine eigentümliche und vor allem durch seine beiden Hauptdarsteller, die sich selbst spielen (und sich dabei immerzu selbst bestaunen, befragen), einnehmende, sanft packende Mischung aus Fiktion und Dokumentation, aus Spiel und Ernst, Improvisation und Inszenierung. Saabel war wirklich Artist (und wurde für seine Spiel in DER GLANZ DES TAGES in Locarno vergangenes Jahr ausgezeichnet), Hochmair ist tatsächlich bekannter Bühnenschauspieler – einer, der bei der Vorführung in Saarbrücken zugab, sich redlich schwer getan zu haben, sich selbst sozusagen zu geben. Unaufgeregt und spannend zugleich liefert der Film einen Ausschnitt aus beider Leben, der zwar endet, als gerade die oder eine „richtig“ Story ins Rollen zu kommen scheint – der jedoch damit einen verblüffend gelungenen Ausstieg aus einer eingesehenen Lebenswelt findet, die auch ohne uns weiterzulaufen verspricht. 

Die Jury urteilte: „Es sind gewichtige gesellschaftliche Fragen, die der Film DER GLANZ DES TAGES auf poetische wie oft auch tragikomische Weise beleuchtet. Freiheit. Identität. Selbstfindung. Selbstinszenierung.“ Aber wenn Saabel und Hochmair sich in den momentverbundenen Reflexionen ergehen, durch den Winter über herrlich knirschenden Kies schreiten, mit der handgeführten Kamera rückwärts stets vor ihnen her im gleichen Schrittrhythmus, dann geht es nicht um „gesellschaftliche Fragen“ – man möchte dann einfach diese ohnehin lange Szene gerne noch viel länger dauern sehen. Des Momentes wegen. Weil DER GLANZ DES TAGES überhaupt, vor allem jedoch in solchen Augenblicken ein faszinierendes Beispiel dafür bietet, wie ein Film sich einerseits treiben lassen kann, ohne getrieben zu werden, zugleich eine souveräne Kontrolle hat, die man selten am Werk sieht. Und dabei: ein Vertrauen – und da hat die Jury Recht – auf die Figuren und, ganz wichtig: deren Geschichte.

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Ein Festival wie der Max Ophüls Preis verführt, gerade weil sich hier die junge deutschsprachige Filmszene versammelt, zur Suche nach Tendenzen und Strömungen, auch wenn so ein Erst- oder Zweitfilm meist einige Jahre Vorlauf hat und das behandelte Thema bereits während des Studiums den oder die Macher umtrieb (wie bei FÜNF JAHRE LEBEN – dazu später mehr). Und tatsächlich ließen sich gewisse „Cluster“ unterschiedlichster Art auch dieses Jahr in Saarbrücken ausmachen. Etwa, dass nach den starken Frauen und den ungestümen, dabei herzergreifend kindsköpfigen Jungmännern immer wieder eine dysfunktionale oder abwesende Mutter eine Rolle spielte. Etwa in dem Wettbewerbskurzfilm GASP (D 2012, R: Eicke Bettinga) oder in NERVEN BRUCH ZUSAMMEN (Ö 2012), der Doku des EXILE FAMILY MOVIE- und EIN AUGENBLICK FREIHEIT-Regisseurs Arash T. Riahi über ein Übergangswohnheim für Frauen in „Stresssituation“ (ein Film, der mich qua Thematik und Zugriff nicht so sehr mitriss wie Riahis Vorgängerfilme). In TALEA (Ö 2013, R: Katharina Mückenstein; Preis der saarländischen Ministerpräsidentin) war das der Fall, in dem die tolle Nina Proll eine Mutter spielt, die frisch aus dem Knast mit ihrer Tochter (Sophie Stockinger) zunächst wenig anzufangen weiß, während das Mädchen, an der Schwelle zur Frau, sich wiederum über sie und in ihr eine Art Ich-Findung und Wegweiserin erhofft. In SCHERBENPARK (D 2012, R: Bettina Blümner, nach dem Roman von Alina Bronsky) fehlt die Mutter, wurde erschossen vom nun inhaftierten Stiefvater, was sich die jungen Sascha (Jasna Fritzi Bauer) nicht verzeihen kann und sie zu einer Kratzbürste werden lässt, die sich durch drei merkwürdige Männerbeziehungen im Film bewegt (auch zu diesem Film, der den Drehbuchpreis in Saarbrücken gewann, ein andermal mehr). 

Ebenfalls in Saarbrücken zu beobachten: Ein Hang zum Genre. Dieser mag allerdings in den vergangenen Jahren nicht weniger ausgeprägt gewesen sein, 2013 gleichwohl deshalb so auffiel, weil er leider oft nicht ganz überzeugte oder geradewegs verunglückte. 

GREY SHEEP (D/USA 2012, R: Nicolai Schwarz) etwa huldigt und eifert dem Hollywoodkino nach, und wie der Film das mit Inbrunst und einer fast heiligen Großäugigkeit tut, ist so bestechend, wie die demonstrierte Freude am bzw. die Wahl des Sujets, dem Sentiment, dem Setting (gedreht tatsächlich denn auch in den USA, mit Darstellern von dort, auf Englisch) an sich schon Respekt abnötigt. Die Story: Slacker Lucas (Daniel Hayek) sucht seinen bis dato unbekannten Halbbruder, den in seinem Job verbiesterten Schönheitschirurgen Jonathan (Chase Hemphill) auf. Beider Vater liegt im sterben, aber Jonathan, ohnehin grantig auf den Papa, zu dem er keinen Kontakt hat, und auf dem Weg zu einem wichtigen Geschäftstermin, lässt sich gerade mal breitschlagen, den nervigen Familienneuzugang ein Stück des Weges im Cabrio mitzunehmen. Woraus sich natürlich prompt ein Odyssee nach bekanntem Muster entwickelt, die wenig Neues, geschweige denn Überraschendes, vor allem in puncto Charakterentwicklung und emotionalen Botschaft bereithält, die aber gleichwohl oft erstaunlich witzig gerät. Ein Feel-Good-Movie mit Odd Couple und Happy End, das warm ums Herz werden lässt, das aber, kaum dass man aus dem Kinosaal war, sich so schnell wieder aus dem Hirn verflüchtigte wie Zuckerwatte im Mund. Zumal der günstig produzierte GREY SHEEP bildästhetisch (Stichwort Video-Optik) wie darstellerisch sympathisch, aber zu unterversorgt ist, als dass man ihm in der Hinsicht hätte etwas dauerhaft abgewinnen können. Als Visitenkarte für das echte Hollywood aber vielleicht tauglich.

Mit ordentlich Furor und sicherer Hand blickt auch Murat Eyüp Gönültas mit seinem Kurzfilm HONEYMOON HOTEL über den Großen Teich, auf Rodriguez, Tarantino und Co. Eine überdrehte überästhetisierte Situationsminiatur, eine wildes Pärchen, ein Team von Polizeieinsatzkräften unter Führung eines vernarbten Fieslings und ein Priester mit Handgranate. Das hat deutliche Wumms, ist überbordend und lustvoll kopiert und zusammengestückelt – gleichwohl eben nicht mehr als eine Fingerübung ohne erkennbar Eigenes. Handwerklich bemerkenswert für einen Studentenzwischenfilm und zugleich gerade in dieser Perfektion schal, wirft HONEYMOON HOTEL als reine Pose doch die Frage auf, ob hier später auch das Zeug (oder der Zug) zu etwas Originellem mal zu finden sein wird. Insbesondere, wenn die großen Vorbilder nicht von anderen, sondern sich selbst, bereits ein wenig totkopiert wurden …

Zum Fremdschämen leider Daniel M. Harrichs EIN SCHMALER GRAD (D 2013), der Dialogduell und Psychodrama sein will, freilich in einer Art, als wäre das Sujet des psychisch maroden serial killers nicht längst bei so etwas wie der TV-Serie Dexter gelandet: Felicitas Woll als kindheitstraumatisierte Journalistin befragt den verurteilten Serienfrauenmörder, gespielt von Heiner Lauterbach. Auch Jürgen Prochnow mit einem Knautschgesicht, dass das eines Tommy Lee Jones in Nichts nachsteht, verspricht als Polizist, der den Killer zur Strecke brachte, eigentlich spannendes Kino. Doch unter den steif-gedrechselten Holzdialogen, dem Seelenpathos oder dem wahlweise Verbrauchten, Vorhersagbare, Überkonstruierten oder Unausgegorenen der Story wird das Schauspielpotenzial des Films ebenso zerquetscht wie von den ulkig frisierten, allem anderen die Show stehlenden Toupets der beiden männlichen Charakterköpfe.

Einen interessanten, mit Crowd-Funding-Unterstützung finanzierten Zwanzigminüter  präsentierte Philippe Weibel. TRAPPED (CH 2012) schielt nicht nur mit seinem Titel und der Besetzung auf den internationalen Markt, sondern kommt in englischer Sprache daher, hat auch eine tragfähige Idee für einen international tauglichen Gruselfilm samt solide funktionierender Auflösung. Die Story: Zwei Studenten und Freunde (Oliver Walker, David Osmond) wollen weitab der Zivilisation in nicht genauer bezeichneten Wäldern Wölfe für ihren Abschluss beobachten. Diese machen sich rar, dafür entdeckt der eine der beiden am Fluss ein hübsches Mädchen (erst nackert, dann im weißen Kleid), die ihm leider entschwindet. Phantom? Zauber? Samenstau? Der andere glaubt ihm natürlich nicht, bis sie eine Korb Äpfel als Geschenk vor den Zelten finden – und später bosartige Schnappfallen in der Umgebung, in die der eine prompt hineintappt. Eine spannende Prämisse also offeriert TRAPPED, leider aber dauert dieser Kurzfilm de facto 92 Minuten, wirkt also wie eine unselig aufgeblähte Adaption einer ansonsten gelungenen Kurzgeschichte – und braucht entsprechend ewig, bis er anrollt, schindet auch zwischendrin einfach so viel Zeit, so dass man schlicht die Geduld verliert. Zumal einfach viele Situationen allzu etablierter Bestandteil des Genre-Repertoires sind (der eine Bub, vorhersehbar wie Ostern, erschreckt nachts den anderen), um mit ihnen hinreichend die Lücken zu füllen. Der Wald mag zwar hübsch fotografiert und in Szene gesetzt sein, leider dann doch nicht genug, dass TRAPPED allein durch seine Atmosphäre (oder die beiden Darsteller) bei der Stange hielte. Und selten – etwa wenn die mysteriöse Fremde im Fluss erscheint – hat man einen eine(n) derart dysfunktionalen Musik(einsatz) zur Untermalung erleben dürfen. 
Gut, vielleicht bin ich zu ungnädig, vielleicht habe ich den Film auch in einer ungünstigen Aufführung gesehen. Es tanzten nämlich allzu oft fremde, störende Lichtflecken über die Leinwand. Von der sich öffnenden Kinosaaltür. Durch die während des Films immer wieder Zuschauer entschwanden, ohne zurückzukommen…

Das Eröffnungsspektakel des MOP, ROBIN HOOD (D 2013) von Martin Schreier, hingegen machte trotz seines doofen Titels geradezu verbotenen Spaß, weil er schamlos stylisches Action-Hollywood in Deutschland versucht, mit Ken Duken als Polizist Alex (Rolle u. Darsteller: Arsch und Eimer!) der in allernächster Zukunft mit einer Gruppe Bankräuber (und in dem Sinne professionals) gegen eine böse Über-Bank (bzw. deren Chef) in den Kampf zieht, denn Bank und Banker tragen bzw. trugen zur allgemeinen Volksverarmung, Wohnungslosigkeit und – in diesem Sinne – zum Selbstmord von Alex‘ Schwester kräftig bei. Das ist alles zwar hinreißend dämlich, hoppla-hopp und zusammenkolportierend dahinerzählt, macht aber gerade deswegen, mit seiner großen Geste und einem – das muss man schlicht unterstellen - Augenzwinkernd, so sinnlos Laune im ja recht „KaWUMM!!“-freien Kontext des deutschen Kinos, dass man ROBIN HOOD wie einem dicken Bernadiner-Jungtier, das in der Küche großes Chaos anrichtet, gar nicht böse sein kann. Noch dicker, platter, lauter! mochte man ihm zurufen (zwischendrin war’s wirklich ein wenig actionarm). Und sich anschließend auf eine mögliche Fortsetzung als Serie auf Pro7 oder sonst wo freuen, auf die der Film vermutlich und klugerweise spekuliert.    
  
Dass in Deutschland Genre aber auch auf hohem Niveau erdacht und produziert werden kann, zeigt sich, zumindest im Bereich des ernsten Politthriller (oder -dramas), an Stefan Schallers FÜNF JAHRE LEBEN (läuft hier und da auch, noch, unter: KURNAZ – FÜNF JAHRE LEBEN) (D 2013). Einer der mitreißendsten Filme des 34. Max Ophüls Preis (nicht nur des Themas wegen). Einer, der durchaus Weltniveau hat und von dem man in Zeiten von ZERO DARK THIRTY mal träumen darf, dass er 2014 den Auslands-„Oscar“ für Deutschland holt…

Zu diesem und weiteren bemerkenswerten Filmen hier aber erst demnächst mehr.

(zyw)



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