Ist es nicht erstaunlich, wie modern der Herr Goebbels war
in seinem filmpolitischen Denken? „Es gibt keine Kunst, die sich selbst
ernährte; materielle Opfer, die der Kunst dargebracht werden, gleicht sie
ideell wieder aus“ – eine konsequente Weiterführung der in den Thesen 1 und 2
aufgebauten Voraussetzungen, dass Film erstens Kunst ist und zweitens den
Anspruch haben müsse, dem Zuschauer etwas zu bieten, Erziehung im weitesten
Sinne nämlich, wofür auch materielle Opfer nötig seien. Denn, so führt Mr. G.
in These 4 weiter aus: „Für jede Regierung ist es selbstverständlich, große
Staatsbauten zu finanzieren, in denen sich der architektonische Schöpferwille
einer Zeit in Stein verewigt, ist es selbstverständlich, Bühnen zu
subventionieren, auf denen
J. Goebbels fördert den deutschen Film in Form von L. Riefenstahl |
Ist das nicht nett? Und ist das nicht das, was die
Filmförderung seit ihren Anfängen will, in verschiedener Form, aber mit
demselben Ziel?
Aber Goebbels setzt noch einen Satz hinzu, in Fortführung
dessen, dass es selbstverständlich sein müsse, den Film materiell zu
unterstützen, außer, man sähe ihn nicht als Kunst an: „Dann aber ist die Klage
über Kitsch und Verwilderung des filmkünstlerischen Schaffens nur
heuchlerisches Hinwegreden über eigenes Versäumnis.“ Klingt zunächst auch mal
nett und logisch. Aber hier kommt der Goebbels, wie wir ihn kennen, durch: Wer
Film nicht unterstützt, kann sich auch nicht beschweren, wenn er kitschig herumklischiert
oder im Unsittlichen verwildert. Hat etwas versäumt. Und was? Nicht nur, Geld
zu geben, sondern auch, dafür zu sorgen, dass das filmkünstlerische Schaffen
nicht verkitscht und verwildert. Sprich: Wer zahlt, schafft an.
Jetzt verstehen wir tiefer diese These. Für jeden Staat muss
es selbstverständlich sein, sich seine Albert Speers zu leisten, um sich architektonisch
in Stein zu verewigen, und muss Gemäldemuseen bezahlen, um entartete Künstler
aus dem malerischen Kulturbesitz des Volkes herauszuhalten. In den Heimstätten
der Kunst hat der, der sie erbaut und bezahlt hat, Hausrecht. Filmförderung als
Schweigegeld, als Bestechung, als Sold für vorauseilenden Gehorsam.
Wobei realiter Goebbels unter Filmförderung insbesondere
verstanden hat, die Filmindustrie komplett zu verstaatlichen, und zwar mit Hintenrumgeschäften,
die die Fassade einer freien Filmwirtschaft aufrecht erhielt, mit Hilfe
natürlich der Deutschen Bank, die gottseidank noch heute keine Abteilung für
Steuerbetrug und Offshorekonten hat, aber offenbar gut genug weiß, welche Wege
Geld gehen muss, um beispielsweise die UFA klammheimlich dem Staat zu
unterstellen. (Ich weiß es nicht, wie das funktioniert, aber der geneigte Leser
kann ja mal in Klaus Kreimeiers „UFA-Story“ nachlesen, ob er finanztechnisch
durchsteigt.)
Für Goebbels bedeutet seine Art der materiellen Opfer, die
man für den Film als Kunst bringen muss, nicht Mäzenatentum, sondern
Auftragsvergabe – die Historie zeigt, wie er das gehandhabt hat.
Interessanterweise ist dies – abgeschwächt – auch heutzutage
ein Argument in der Debatte um Filmförderung – darum, ob Filme überhaupt
subventioniert werden sollen, darum, auf welche Weise welche Produktionen zu
welchem Zweck unterstützt werden sollen.
Freilich geht es heute nicht um Staatsfilme, um verordnete
Ideologie und Propaganda. Jedoch ist die geförderte Filmproduktion nicht mehr
frei in ihren Entscheidungen. Regionale Förderung verlangt beispielsweise Dreh
oder Postproduktion in ihrem Bundesland – „wir drehen jetzt Sachen, die in
München spielen sollen, in Berlin, und Sachen, die in München spielen sollen,
in der Schweiz. Selbst Autofahrten müssen wir aufsplitten, wo du außen München
siehst, aber im Auto in Berlin drehst. Das ist totaler Gaga“, sagt Benjamin
Heisenberg in der Zündfunk-Sendung
„Warum ist der deutsche Film so mies“ vom letzten Sommer
- und zwar, weil er für seinen in München spielenden Film keine Förderung aus
Bayern bekam, sondern aus Berlin. (Was ja ohnehin der Witz ist, dass
Heisenberg, HEISENBERG!, nicht die Förderung bekommt, die er braucht – er ist
schließlich eines der Aushängeschilder des deutschen Films, was Präsenz und
Ansehen auf internationalen A-Festivals angeht.)
Immer wieder wird auch gemutmaßt – ohne, dass dies jemals
bewiesen werden könnte –, dass die obligatorische Beteiligung des Fernsehens
eine mehr oder weniger kleine Schere im Kopf des Filmemachers schärfen würde.
So dass vielleicht die eine oder andere Großaufnahme mehr gedreht wird, so dass
im Schnitt ein paar Minuten rausgekürzt wird, um das Endprodukt TV-kompatibler
zu machen, von Ästhetik und Länge her.
Andererseits
natürlich, und ich will da gar nicht werten: Filmförderung ist eben Förderung
der regionalen Wirtschaft, nicht nur finanziell, auch was Technik, Handwerk,
Infrastruktur angeht; und natürlich will der, der mitfinanziert, am Ende auch
zumindest wissen, was er bekommt. Und natürlich kostet jeder Film viel Geld,
und nicht jeder Film hat grundsätzlich das Zeug, dieses Geld auf dem freien
Markt wieder einzuspielen. Für die ideelle Filmkunst sind nun mal materielle
Opfer nötig; und das derzeitige System sieht vor, dass auch populäre bis
populistische Stoffe gefördert werden, dass deren Einspiel irgendwie, irgendwo
wieder den Filmen zugeschlagen wird, die ohne bedingungslose Grundfinanzierung
keine Chance hätten.
Denn
grundsätzlich soll mit der Förderung der Regisseur und seine Sicht geschützt
werden vor den Anwürfen des Kommerzes, des Zwangs zur Massenware – im Zuge des
Neuen Deutschen Films wurde die Filmförderung 1968 institutionalisiert, ganz
sicher ohne jeden Bezug zu Goebbels, im Gegenteil: Um die Unabhängigkeit, den
Mut, die Autorenschaft zu fördern.
Womit
es letztendlich um den Zuschauer geht, nicht um den ausbleibenden, sondern um
die Minderheit, die bestimmte Filme verlangt, für die sie aber nicht die
kritische Masse erreicht haben, um ihn auf den freien Markt stemmen zu können.
Auch wenn dieses System – wie immer, wenn viel Geld zur Verfügung steht und
viel Geld fließt – inzwischen aufgebläht, kompliziert, vielleicht ineffektiv,
vielleicht auch nicht mehr zielführend ist. Bis nun, inzwischen, die Fronten
völlig verhärtet sind, zwischen Gegnern, Reformern und Status-quo-Befürwortern.
Klaus
Lemke wettert im Hamburger Manifest in Großbuchstaben gegen jede Förderung, die
das Risiko minimiere und damit auch den Wagemut, der gute Filme erst
herbvorbringt: „GELD VOM STAAT IST IMMER EIN TRITT GEGEN DIE EIGENE
KREATIVITÄT.“
Alan Posener polemisierte jüngst in der Welt gegen die Förderpraxis: „Dass
auch und gerade im Film die Regel gilt: no risk, no fun; dass der ganze
Trübsinn des deutschen Films damit zu tun haben könnte, dass er zu Tode
gefördert wird, dass künstlerischer Anspruch und pädagogische Absicht statt
Unterhaltungswert und Kassenerfolg belohnt werden, das kam bei der Anhörung
nicht zur Sprache. Woher auch? Alle Lobbygruppen hatten Vertreter geschickt,
nur nicht die zwei wichtigsten: die Steuerzahler und das Publikum“ – heiß unterstützt wird er von RüdigerSuchsland.
Und in der Pressemitteilung zur jüngst erschienen Studie über die Filmförderung2011 vom Erich-Pommer-Institut erklärt Prof. Dr. Lothar Mikos, der
geschäftsführende Direktor und Mitherausgeber (und macht damit zumindest einen
gewissen Reformbedarf geltend): „Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur
Transparenz in der deutschen Filmförderlandschaft. Leider ist diese Transparenz
nicht umfassend herzustellen, weil z.B. einige Förderinstitutionen keine
Auskunft über Rückflüsse aus erfolgreichen Filmen geben. […] Vor dem
Hintergrund, dass viermal so viele Menschen pro Jahr ins Kino gehen als
klassische Konzerte, Theater- und Opernaufführungen besuchen, gleichzeitig aber
die Filmförderung etwa nur ein Zehntel der Kulturförderung ausmacht, muss und
sollte man über den Stellenwert des Films in der deutschen Kultur diskutieren.“
Wobei
klar ist: Ohne diese Streitigkeiten ums System oder ums Grundsätzliche wäre die
Betrachtung von Film und Kino doch nur halb so schön. Stellung beziehen kann
man mit guten Grund für jede Seite. Und egal, wie das System aussieht, irgendwem passt es nie – eine never
ending story.
Auch
deshalb, weil es ja nicht nur um den aktuellen Film gehen kann, sondern auch um
die Herausforderungen der Digitalisierung des Filmerbes – ausführlich habe ich
mich mit dem Thema im ANSICHTSSACHE-Band beschäftigt. Da werden von Kulturstaatsminister
Bernd Neumann wie auch von der FFA Gelder locker gemacht, um zumindest mal
Filmklassiker ins digitale Zeitalter hinüberretten zu können; viel zuwenig Geld
natürlich, um einen auch nur halbwegs signifikanten Anteil des Filmerbes
digital verfügbar zu machen, von Restaurierung ganz zu schweigen. Wobei
natürlich nicht nur der einmalige Prozess des Auslesens von 35mm-Material auf
digitale Träger kostet, sondern auch die kontinuierliche Archivierung digitaler
Kopien weit aufwändiger ist als herkömmliches Filmmaterial, das lediglich in
einem wohltemperierten Raum gelagert werden muss. Während hingegen Filmdateien
alle paar Jahre auf neues Trägermaterial überspielt werden muss, um Datenfehler
zu verhindern.
Dabei
geht es hier dezidiert auch um Filme aus der Goebbels-Ära (um auf ihn wieder
zurückzukommen); und die sind superinteressant, wenn nicht sogar tatsächlich gut
(dass der FFA-Präsident Eberhard Junkersdorf zugleich Vorsitzender des
Kuratoriums der Murnau-Stiftung ist, die als Rechteinhaberin die Filme der
Goebbels-Ära verwaltet, dass er also als Förderer und Geförderter das Geld von
der linken in die rechte Tasche verschiebt, ist, positiv ausgedrückt, in der
Sache gerechtfertigt…)
Es
gibt eben eine Menge neuer Baustellen in der Filmförderung – nicht nur die
Produktion der Spielfilme, auch die Verfügbarmachung. Etwa die öffentliche
Mitfinanzierung digitaler Abspielstätten, die dem modernen Filmformat genügen; Alexander
Gajic hat in ANSICHTSSACHE den Weg der Digitalisierung nachgezeichnet und dabei
auch die Probleme der digitalen Distribution kartographiert – der Codes und
Schlüssel, die man braucht, um einen digitalen Projektor zu füttern etwa. In epdFilm 8/2012 beschäftigte er sich mit Video-on-Demand-Plattformen und deren
ganz eigenen Problemen von Präsentation bis Filmrepertoire.
Während
die Digitalisierung – auch die öffentlich mitfinanzierte – mit ihrer
allgemeinen Verfügbarkeit, mit ihrer leichten Kopierbarkeit, natürlich auch die
Illegalen, oder mutmaßlich Illegalen, anzieht – und mit diversen kriminellen
oder kriminalisierten Download- und Streamingseiten auch wieder Hoffnung
bedeutet: denn ganz ohne Förderung sind deren Betreiber stinkreich geworden mit
ihrem Angebot. Bernd Zywietz hat sich in ANSICHTSSACHE weitreichend mit dem
Thema beschäftigt.
Womit
wir weit rumgekommen sind und ein ganz schönes Pensum abgearbeitet haben:
Goebbels-These, Förderungsdebatte, Werbung fürs beste Filmbuch des
Jahrhunderts. Gefördert werde ich übrigens von meiner Familie, sowohl ideell
als auch materiell – und durch diverse fiskalische Familien- und Kinderzuschüsse
letztendlich auch von Ihnen. Dafür bedanke ich mich.
Harald
Mühlbeyer
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen