Mittwoch, 24. April 2013

The Goebbels Experience #4: Die vierte von sieben Thesen: „Regierungen müssen materielle Opfer bringen für den Film“



Ist es nicht erstaunlich, wie modern der Herr Goebbels war in seinem filmpolitischen Denken? „Es gibt keine Kunst, die sich selbst ernährte; materielle Opfer, die der Kunst dargebracht werden, gleicht sie ideell wieder aus“ – eine konsequente Weiterführung der in den Thesen 1 und 2 aufgebauten Voraussetzungen, dass Film erstens Kunst ist und zweitens den Anspruch haben müsse, dem Zuschauer etwas zu bieten, Erziehung im weitesten Sinne nämlich, wofür auch materielle Opfer nötig seien. Denn, so führt Mr. G. in These 4 weiter aus: „Für jede Regierung ist es selbstverständlich, große Staatsbauten zu finanzieren, in denen sich der architektonische Schöpferwille einer Zeit in Stein verewigt, ist es selbstverständlich, Bühnen zu subventionieren, auf denen
J. Goebbels fördert den deutschen Film in Form von L. Riefenstahl
die tragischen und komischen Leidenschaften dieser Zeit darstellerisch abgewandelt werde, ist es selbstverständlich, Galerien anzulegen, in denen der malerische Kulturbesitz eines Volkes seine Heimstätte findet. Es muß für jede Regierung ebenso selbstverständlich werden, dem Film durch materielle Opfer seine künstlerische Existenz zu sichern, wenn anders sie nicht überhaupt darauf verzichten will, den Film als Kunst zu werten und einzureihen.“ Das hat er schön gesagt, trefflich gewertet und eingereiht, und klar: da kann man zustimmen. Film ist Kunst, Kunst ist Kultur, der Staat beruht auf Kultur, also unterstützt die Regierung den Film. Öffentliche Gelder bedeuten institutionalisierte Wertschätzung, bedeuten Anerkennung: Du, Film, bist mir wichtig. Dir, Film, gebe ich gerne Steuergelder, denn du gibst mir, dem Volk, der ganzen Welt ideell soviel zurück.
Ist das nicht nett? Und ist das nicht das, was die Filmförderung seit ihren Anfängen will, in verschiedener Form, aber mit demselben Ziel?

Aber Goebbels setzt noch einen Satz hinzu, in Fortführung dessen, dass es selbstverständlich sein müsse, den Film materiell zu unterstützen, außer, man sähe ihn nicht als Kunst an: „Dann aber ist die Klage über Kitsch und Verwilderung des filmkünstlerischen Schaffens nur heuchlerisches Hinwegreden über eigenes Versäumnis.“ Klingt zunächst auch mal nett und logisch. Aber hier kommt der Goebbels, wie wir ihn kennen, durch: Wer Film nicht unterstützt, kann sich auch nicht beschweren, wenn er kitschig herumklischiert oder im Unsittlichen verwildert. Hat etwas versäumt. Und was? Nicht nur, Geld zu geben, sondern auch, dafür zu sorgen, dass das filmkünstlerische Schaffen nicht verkitscht und verwildert. Sprich: Wer zahlt, schafft an.
Jetzt verstehen wir tiefer diese These. Für jeden Staat muss es selbstverständlich sein, sich seine Albert Speers zu leisten, um sich architektonisch in Stein zu verewigen, und muss Gemäldemuseen bezahlen, um entartete Künstler aus dem malerischen Kulturbesitz des Volkes herauszuhalten. In den Heimstätten der Kunst hat der, der sie erbaut und bezahlt hat, Hausrecht. Filmförderung als Schweigegeld, als Bestechung, als Sold für vorauseilenden Gehorsam.
Wobei realiter Goebbels unter Filmförderung insbesondere verstanden hat, die Filmindustrie komplett zu verstaatlichen, und zwar mit Hintenrumgeschäften, die die Fassade einer freien Filmwirtschaft aufrecht erhielt, mit Hilfe natürlich der Deutschen Bank, die gottseidank noch heute keine Abteilung für Steuerbetrug und Offshorekonten hat, aber offenbar gut genug weiß, welche Wege Geld gehen muss, um beispielsweise die UFA klammheimlich dem Staat zu unterstellen. (Ich weiß es nicht, wie das funktioniert, aber der geneigte Leser kann ja mal in Klaus Kreimeiers „UFA-Story“ nachlesen, ob er finanztechnisch durchsteigt.)

Für Goebbels bedeutet seine Art der materiellen Opfer, die man für den Film als Kunst bringen muss, nicht Mäzenatentum, sondern Auftragsvergabe – die Historie zeigt, wie er das gehandhabt hat.
Interessanterweise ist dies – abgeschwächt – auch heutzutage ein Argument in der Debatte um Filmförderung – darum, ob Filme überhaupt subventioniert werden sollen, darum, auf welche Weise welche Produktionen zu welchem Zweck unterstützt werden sollen.

Freilich geht es heute nicht um Staatsfilme, um verordnete Ideologie und Propaganda. Jedoch ist die geförderte Filmproduktion nicht mehr frei in ihren Entscheidungen. Regionale Förderung verlangt beispielsweise Dreh oder Postproduktion in ihrem Bundesland – „wir drehen jetzt Sachen, die in München spielen sollen, in Berlin, und Sachen, die in München spielen sollen, in der Schweiz. Selbst Autofahrten müssen wir aufsplitten, wo du außen München siehst, aber im Auto in Berlin drehst. Das ist totaler Gaga“, sagt Benjamin Heisenberg in der Zündfunk-Sendung „Warum ist der deutsche Film so mies“ vom letzten Sommer - und zwar, weil er für seinen in München spielenden Film keine Förderung aus Bayern bekam, sondern aus Berlin. (Was ja ohnehin der Witz ist, dass Heisenberg, HEISENBERG!, nicht die Förderung bekommt, die er braucht – er ist schließlich eines der Aushängeschilder des deutschen Films, was Präsenz und Ansehen auf internationalen A-Festivals angeht.)
Immer wieder wird auch gemutmaßt – ohne, dass dies jemals bewiesen werden könnte –, dass die obligatorische Beteiligung des Fernsehens eine mehr oder weniger kleine Schere im Kopf des Filmemachers schärfen würde. So dass vielleicht die eine oder andere Großaufnahme mehr gedreht wird, so dass im Schnitt ein paar Minuten rausgekürzt wird, um das Endprodukt TV-kompatibler zu machen, von Ästhetik und Länge her.

Andererseits natürlich, und ich will da gar nicht werten: Filmförderung ist eben Förderung der regionalen Wirtschaft, nicht nur finanziell, auch was Technik, Handwerk, Infrastruktur angeht; und natürlich will der, der mitfinanziert, am Ende auch zumindest wissen, was er bekommt. Und natürlich kostet jeder Film viel Geld, und nicht jeder Film hat grundsätzlich das Zeug, dieses Geld auf dem freien Markt wieder einzuspielen. Für die ideelle Filmkunst sind nun mal materielle Opfer nötig; und das derzeitige System sieht vor, dass auch populäre bis populistische Stoffe gefördert werden, dass deren Einspiel irgendwie, irgendwo wieder den Filmen zugeschlagen wird, die ohne bedingungslose Grundfinanzierung keine Chance hätten.

Denn grundsätzlich soll mit der Förderung der Regisseur und seine Sicht geschützt werden vor den Anwürfen des Kommerzes, des Zwangs zur Massenware – im Zuge des Neuen Deutschen Films wurde die Filmförderung 1968 institutionalisiert, ganz sicher ohne jeden Bezug zu Goebbels, im Gegenteil: Um die Unabhängigkeit, den Mut, die Autorenschaft zu fördern.
Womit es letztendlich um den Zuschauer geht, nicht um den ausbleibenden, sondern um die Minderheit, die bestimmte Filme verlangt, für die sie aber nicht die kritische Masse erreicht haben, um ihn auf den freien Markt stemmen zu können. Auch wenn dieses System – wie immer, wenn viel Geld zur Verfügung steht und viel Geld fließt – inzwischen aufgebläht, kompliziert, vielleicht ineffektiv, vielleicht auch nicht mehr zielführend ist. Bis nun, inzwischen, die Fronten völlig verhärtet sind, zwischen Gegnern, Reformern und Status-quo-Befürwortern.

Klaus Lemke wettert im Hamburger Manifest in Großbuchstaben gegen jede Förderung, die das Risiko minimiere und damit auch den Wagemut, der gute Filme erst herbvorbringt: „GELD VOM STAAT IST IMMER EIN TRITT GEGEN DIE EIGENE KREATIVITÄT.“ Alan Posener polemisierte jüngst in der Welt gegen die Förderpraxis: „Dass auch und gerade im Film die Regel gilt: no risk, no fun; dass der ganze Trübsinn des deutschen Films damit zu tun haben könnte, dass er zu Tode gefördert wird, dass künstlerischer Anspruch und pädagogische Absicht statt Unterhaltungswert und Kassenerfolg belohnt werden, das kam bei der Anhörung nicht zur Sprache. Woher auch? Alle Lobbygruppen hatten Vertreter geschickt, nur nicht die zwei wichtigsten: die Steuerzahler und das Publikum“ – heiß unterstützt wird er von RüdigerSuchsland. Und in der Pressemitteilung zur jüngst erschienen Studie über die Filmförderung2011 vom Erich-Pommer-Institut erklärt Prof. Dr. Lothar Mikos, der geschäftsführende Direktor und Mitherausgeber (und macht damit zumindest einen gewissen Reformbedarf geltend): „Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Transparenz in der deutschen Filmförderlandschaft. Leider ist diese Transparenz nicht umfassend herzustellen, weil z.B. einige Förderinstitutionen keine Auskunft über Rückflüsse aus erfolgreichen Filmen geben. […] Vor dem Hintergrund, dass viermal so viele Menschen pro Jahr ins Kino gehen als klassische Konzerte, Theater- und Opernaufführungen besuchen, gleichzeitig aber die Filmförderung etwa nur ein Zehntel der Kulturförderung ausmacht, muss und sollte man über den Stellenwert des Films in der deutschen Kultur diskutieren.“

Wobei klar ist: Ohne diese Streitigkeiten ums System oder ums Grundsätzliche wäre die Betrachtung von Film und Kino doch nur halb so schön. Stellung beziehen kann man mit guten Grund für jede Seite. Und egal, wie das System aussieht, irgendwem passt es nie – eine never ending story.
Auch deshalb, weil es ja nicht nur um den aktuellen Film gehen kann, sondern auch um die Herausforderungen der Digitalisierung des Filmerbes – ausführlich habe ich mich mit dem Thema im ANSICHTSSACHE-Band beschäftigt. Da werden von Kulturstaatsminister Bernd Neumann wie auch von der FFA Gelder locker gemacht, um zumindest mal Filmklassiker ins digitale Zeitalter hinüberretten zu können; viel zuwenig Geld natürlich, um einen auch nur halbwegs signifikanten Anteil des Filmerbes digital verfügbar zu machen, von Restaurierung ganz zu schweigen. Wobei natürlich nicht nur der einmalige Prozess des Auslesens von 35mm-Material auf digitale Träger kostet, sondern auch die kontinuierliche Archivierung digitaler Kopien weit aufwändiger ist als herkömmliches Filmmaterial, das lediglich in einem wohltemperierten Raum gelagert werden muss. Während hingegen Filmdateien alle paar Jahre auf neues Trägermaterial überspielt werden muss, um Datenfehler zu verhindern.
Dabei geht es hier dezidiert auch um Filme aus der Goebbels-Ära (um auf ihn wieder zurückzukommen); und die sind superinteressant, wenn nicht sogar tatsächlich gut (dass der FFA-Präsident Eberhard Junkersdorf zugleich Vorsitzender des Kuratoriums der Murnau-Stiftung ist, die als Rechteinhaberin die Filme der Goebbels-Ära verwaltet, dass er also als Förderer und Geförderter das Geld von der linken in die rechte Tasche verschiebt, ist, positiv ausgedrückt, in der Sache gerechtfertigt…)

Es gibt eben eine Menge neuer Baustellen in der Filmförderung – nicht nur die Produktion der Spielfilme, auch die Verfügbarmachung. Etwa die öffentliche Mitfinanzierung digitaler Abspielstätten, die dem modernen Filmformat genügen; Alexander Gajic hat in ANSICHTSSACHE den Weg der Digitalisierung nachgezeichnet und dabei auch die Probleme der digitalen Distribution kartographiert – der Codes und Schlüssel, die man braucht, um einen digitalen Projektor zu füttern etwa. In epdFilm 8/2012 beschäftigte er sich mit Video-on-Demand-Plattformen und deren ganz eigenen Problemen von Präsentation bis Filmrepertoire.
Während die Digitalisierung – auch die öffentlich mitfinanzierte – mit ihrer allgemeinen Verfügbarkeit, mit ihrer leichten Kopierbarkeit, natürlich auch die Illegalen, oder mutmaßlich Illegalen, anzieht – und mit diversen kriminellen oder kriminalisierten Download- und Streamingseiten auch wieder Hoffnung bedeutet: denn ganz ohne Förderung sind deren Betreiber stinkreich geworden mit ihrem Angebot. Bernd Zywietz hat sich in ANSICHTSSACHE weitreichend mit dem Thema beschäftigt.

Womit wir weit rumgekommen sind und ein ganz schönes Pensum abgearbeitet haben: Goebbels-These, Förderungsdebatte, Werbung fürs beste Filmbuch des Jahrhunderts. Gefördert werde ich übrigens von meiner Familie, sowohl ideell als auch materiell – und durch diverse fiskalische Familien- und Kinderzuschüsse letztendlich auch von Ihnen. Dafür bedanke ich mich.

Harald Mühlbeyer

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