Freitag, 12. Juli 2013

Filmfest München 2013: Starker deutscher Jahrgang

Welch herausragende Filmauswahl das diesjährigen Münchner Filmfest geboten hat, mag der geneigte Leser daran ermessen, dass er hier an dieser Stelle von unserem Herrn Reporter Mühlbeyer kaum etwas davon mitbekommen hat. Der konnte nämlich schlicht wenig Zeit erübrigen, war er doch anderweitig fleißig: Mit dem Auftrag, für kino-zeit.de die Reihe Neues Deutsches Kino schreiberisch zu begleiten. Eine Reihe, von der unser Herr Mühlbeyer in diesem Jahr restlos begeistert war!

So gab es zwei wunderbare Genre-Filme zu sehen:
In „Harms“ spielt Heiner Lauterbach in der Titelrolle einen mythischen Gangster, der noch einmal einen letzten Coup wagt, immerhin lagern hundert Millionen Euro abholbereit auf Paletten in der Deutschen Bundesbank. Stur trottet Lauterbach durch die Handlung, während um ihn herum alles mehr und mehr in Scherben fällt, so dass nicht mal er, der sich mit all seiner Macht in jedes Gemenge stürzt, mehr helfen kann.
In „Der blinde Fleck“ spielt Lauterbach ebenfalls mit, in seitlich rasierter Altnazi-Frisur gibt er den Antagonisten, nämlich Dr. Hans Langemann, zweiter Mann im bayrischen Freistaat unter FJ Strauß. Vertuschung, Verschweigen, Ablenkung: Das sind seine Waffen, als der Journalist Ulrich Chaussy tiefer bohrt, als der Abschlussbericht zum Münchner Oktoberfestattentat von 1980 es zulassen wollte. Chaussy hat das Drehbuch geschrieben, Daniel Harrich Regie geführt – und zwar nicht, um ein Betroffenheitsdrama zu schaffen oder einen verfilmten Leitartikel, sondern um sich richtig reinzuknien in die Genremechanismen des Politthrillers, in dem nichts fehlt. Vor allem nicht Spannung.

Was „Love Steaks“ auszeichnet – das gelingt auch Axel Ranisch in gleich zwei Filmen: „Ich fühl mich Disco“ erzählt die Geschichte des Jungen Florian, der mit seinem Vater Hanno so gar nichts anzufangen weiß – der ihn formen will nach einem Männlichkeitsideal, wie es Hanno selbst – dick, laut, unsensibel – nie hätte erreichen können. Mit der Mama ist Florian glücklich – bis sie nach einem Hirnschlag im Koma liegt. Nun bleibt ihm nur noch die Fantasie, um das Glück mit Mutti genießen zu können – wobei er alsbald Radu kennenlernt, mit ihm Freundschaft schließt und auch durchaus mehr fühlt… Das Besondere des Films: nicht nur wird schlicht und einfach die erwachende Homosexualität von Florian geschildert, viel mehr noch des Vaters Umgang damit. Der nämlich nicht poltert und tobt, sondern die Übernachtung Radus im Zimmer seines Sohnes nutzt, um so richtig tolerant zu werden. Dabei hilft ihm der Schlagersänger Christian Steiffen, dessen Lieder („Ich fühl mich Disco“, „Sexualverkehr“) Sohnemann Flori verehrt, dem der Papa in der Kneipe ein paar runterhaut, der dafür mit einem Lied („Das Leben ist nicht nur Pommes und Disco“) und einer Aufklärungs-DVD belohnt wird. Eine DVD, in der Rosa von Praunheim himself dem verdatterten Papa Hanno eine Lehrstunde in Schwulsein und Analverkehr gibt. Es wird also nicht problematisiert – obwohl es der Probleme zuhauf gibt und auch nichts runtergespielt wird –, doch vor allem geht Ranisch sehr einfühlsam auf seine Figuren ein, erzählt über sie und aus ihnen heraus und bietet ihnen zudem fantastische Hilfestellung aus der Imaginationswelt an.

„Reuber“ ist der zweite Ranisch-Film, ein Kinderfilm freilich aus der Kinderfilmreihe: Eine irre muss auch etwas für die Älteren unter uns sein.
Geschichte von Robby, der vor dem Supermarkt seine kleine Schwester verliert und in den Wald abhaut. Wo er nicht nur einer merkwürdigen Pilzfrau begegnet oder einer guten, wenn auch alten Fee (Ruth Bickelhaupt, Ranischs Oma, die schon in „Dicke Mädchen“ so bezaubernd war). Sondern auch einem fiesen, bösen, so nett tuenden Zauberer und einem grimmigen, polternden, aber sehr hilfsbereiten Räuber. Ranisch zog mit seinem Team in einen Wald in Brandenburg, drehte in einer Woche den Film, wobei Abend für Abend neu überlegt wurde, wie die Story weitergehen könnte. Heraus kam ein toller Film für Kinder – und für Erwachsene. Denn so einfallsreich bösartig wie der Zauberer hat man selten einen Schurken agieren sehen; und ein Kinderfilm, der so sehr das Happy End einer heilen Familie vermeidet,

„Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder ist ein Beispiel dafür, dass deutsches Kino nicht mehr gleichgesetzt werden darf mit Eindeutigkeit und eingebauter moralischer Rückversicherung. Was Ironie ist, was reiner Comedy-Sketch, was ernsthafte Aussage, was These/Antithese oder gar, was die Botschaft des Autors sei – das ist in dieser Gewitterwolke von Hasspredigten und Keifereien, von Selbstsucht und langsam gedeihender Perversion nicht mehr auszumachen. Kein Wunder: Der Drehbuchautor ist Christian Kracht, Ehemann der Regisseurin; der genau weiß, wie er sich und seine Ansichten einzubringen hat, ohne sich und seine Ansichten einzubringen… Ein Episodenfilm um einen Pediküre-Künstler mit Fußfetischismus, um einen Polizisten, der gerne ein Eisbär wäre, um eine Dokumentarfilmerin, die zu selbstbezogen ist, um sich für irgendetwas zu interessieren, ein reiches Ehepaar, das über Deutschland abkotzt, eine Schülergruppe, die sich gegenseitig ankotzt, einen einsiedlerischen Waldläufer, der wild wird, als sein Rabe stirbt… Ein Panorama all der Dekadenz und Fäulnis, der man sich kaum entziehen kann, nicht in dieser und vor allem nicht in der Finster-Welt.

Höhepunkt des Filmfestes selbstverständlich: Die Premiere des neuen Helge-Schneider-Filmes „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“. Für Schneider war dies das erste Mal, dass er einen seiner Filme vorab auf einem Festival präsentieren durfte – einerseits eine große (längst überfällige) Ehrung, andererseits auch durchaus mit Risiko behaftet: immerhin exponiert man sich auf einem Filmfest, setzt sich schutzlos einem Publikum aus, das vielleicht ja, man kann es nicht wissen, auf Hochkultur getrimmt ist, auf klare Ernsthaftigkeit, und nicht auf das, was Schneider mit seiner Kunst vorhat. Nämlich hinter der Form von Nonsenskomödien und Clownerien die Ernsthaftigkeit der Anliegen so zu verbergen, dass sie dem gemeinen Zuschauer (und vielleicht auch dem gemeinen Schenkelklopfer-Fan) nicht direkt ins Auge springen. Der neue Kommissar-Schneider-Film immerhin bietet einige Ansatzpunkte, ein paar Haken, an die Exegeten und Analysten Interpretationsaufhänger befestigen können. Etwa die Zerrissenheit der Örtlichkeiten, in denen das reale Ruhrgebiet, wo an Originalschauplätzen gedreht wurde, direkt an der spanischen Küste liegt – im Film: „der spanische Teil der Stadt“; oder die Polizeigewalt, die sich nebenher abspielt, wenn in der Tiefgarage ein Verbrecher verkloppt wird und sich der Chief persönlich einen Popograpscher vorknöpft; oder das parodistische Element, das Einflüsse der gesamten Cop-Genre-Filmographie aufnimmt und nebenbei W.C. Fields und Dick und Doof einfließen lässt. Wobei, andererseits: Der Humor ist nach wie vor sehr speziell (was als höchstes Lob zu werten ist!), und manches geschieht auch einfach nur so – Sergej Gleithmann, den die Kameraperspektive als Zwerg darstellt, während Kommissar Schneider aus unerfindlichen Gründen das Gespräch laut rufend führt; oder die Tänzchen, in die der Kommissar ab und an verfällt… Warum nun ausgerechnet dieser Film aus Schneiders Œuvre sich dennoch so offen gibt auch für die, die bisher wenig mit ihm anfangen konnten? Nun: Der Film sieht ganz einfach verdammt gut aus: gedreht auf 16mm, perfekt stimmig ausgeleuchtet, mit ausgezeichneter Ausstattung und dynamischer Montage, in der sich die Ruhe der spanischen Küste gegen die Hektik im Polizeirevier stemmt. Und umwerfend komisch ist er noch dazu!

Die deutsche Kinoreihe des Münchner Filmfestes zeigte etwas, das hoffentlich zum Trend werden wird: Dass das deutschen Kino weit darüber hinaus ist, ein gesetztes Problem zu verfilmen – wie es in den Vorjahren in diversen deutschen Reihen auf diversen Filmfestivals zu beobachten war –, dass sie vielmehr tatsächlich eine Geschichte filmisch er- und begreifen. Das mag an veränderten Ansätzen bei den Filmemachern liegen; das mag auch daran liegen, dass die Kuratoren andere Werke – nämlich eben: tatsächlich Filme statt Bebilderungen – aussuchen (seit 2012 besorgt Christoph Gröner dieses Geschäft in München, und seine diesjährige zweite Amtszeit lässt für die Zukunft Großes hoffen); vielleicht aber, und das wäre langfristig gesehen die schlechteste Option, ist dies schlicht ein Ausnahmezustand, der schon im Herbst in Hof nicht mehr gilt. Immerhin aber: Diese Filme dieser Reihe dieses Festivals sind in der Welt. Und da bleiben sie auch.
Und jetzt muss nur noch das Publikum bemerken, dass sich hier Vieles und vielleicht Entscheidendes tut.


Harald Mühlbeyer

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