Der Berg flucht
Zugegeben, der Titel dieses Beitrags ist ein arger Kalauer.
Aber eine der Taglines zu Marvin Krens BLUTGLETSCHER (neben „Die Gletscher schmelzen – die Mutanten kommen“)
lautet ja auch: „Am Berg hört dich niemand schreien“. Das ist auch etwas wüst,
jedoch natürlich Reminiszenz an Ridley Scotts Sci-Fi-Horror-Meilenstein
ALIEN von 1979, dereinst beworben mit „Im Weltraum hört dich niemand schreien“.
Und darum geht es Kren, der mit BLUTGLETSCHER nicht nur dem „Unheimlichen
Wesen aus einer fremden Welt“ Tribut zollt, sondern auch anderen Creature-Feature-,
Öko-Tierhorror- und sonstige Monster-Klassikern vor allem der 1970er und -80er wie
John Carpenters THE THING, John Frankenheimers PROPHECY oder, wie Kren in
Saarbrücken verriet, Ron Underwoods dann etwas späterer, aber nicht minder
gelungener B-Film TREMORS (deutscher Titel-Zusatz: IM LAND DER RAKETENWÜRMER).
Wobei diese Filme selbst wiederum als Neuauflagen u.a. des Atomic-Horror- und
Sci-Fi-Subgenres der 1950er (etwa: Gordon Douglas‘ THEM! von 1954) zu
betrachten sind, und Carpenters THE THING ist ja auch Remake des DINGS AUS
EINER ANDEREN WELT von 1951 (Regie: Christian Nyby u. Howard Hawks). Eines,
dass wiederum 2011 nicht ganz überzeugend von Matthijs van Heijningen Jr. neu
verfilmt wurde.
Kren also stellt sich mit seinem Film in eine große
Traditionlinie, ist dabei auch eingedenk der Remake-Welle von 70er- und 80er-Genreerfolgen
in Hollywood aktuell. Allerdings besteht er, so wie so besehen, ganz Fabelhaft
vor den Vorbildern und den Wiederauflagen, einfach weil er etwas vielleicht
nicht unbedingt Neues, in jedem Fall aber etwas Eigenes schafft und dabei
einmal mehr nicht nur Händchen, sondern auch Köpfchen beweist.
Schon mit dem (im besten Sinne) M. Night Shyamalan’esken SCHAUTAG
hat der 1980 in Wien geborene Regisseur zusammen mit seinem Drehbuchautor
Benjamin Hessler 2009 eine verwickelte, eindringliche und clevere, dazu
stilistisch gelungene „Gruselgeschichte“ vorgelegt, die prompt als bester
Kurzfilm auf dem ansonsten nicht als übermäßig genre-affin verschrienen Max
Ophüls Preis ausgezeichnet wurde. Der nächste Kren/Hessler-Knaller, der
international für Aufsehen (und Vertrieb) sorgte, war 2010 der mittellange Zombie-Horror
RAMMBOCK. Darin reist ein Unglücksrabe (Michael Fuith selbst
Nachwuchsdarstellerpreisträger des MOP und bei BLUTGLETSCHER in einer
Nebenrolle zu sehen) nach Berlin, um dort seiner Exfreundin den
Wohnungsschlüssel zu bringen – und unversehens in die Untotenapokalypse zu
geraten. Nicht nur handwerklich, von der Inszenierung bis zu Maske und den Effekten,
ist dieser 60-Minüter erstklassig, sondern darüber hinaus witzig und originell:
Die Handlung beschränkt sich auf (und nutzt erzählerisch mustergültig) ein
Hinterhofmietshaus und dessen Örtlich- bzw. engen Räumlichkeiten. NIGHT OF THE
LIVING DEAD meets REAR WINDOW quasi.
Dass Hollywood bei Kren daraufhin anklopfte, war nur
folgerichtig. Ebenso, dass nun ein Langspielfilm gefolgt ist, der beim MOP in
Saarbrücken im Wettbewerb lief, dort zwar nichts gewann, dafür aber die Herzen
der Fans der guten (und manchmal gern auch nicht so guten) Horrorstreifen aus
einer goldenen New-Hollywood-Ära und des postklassischen Kinos.
Entsprechend ist die Story von BLUTGLETSCHER (erneut nach
dem Buch von Hessler) ebenso schnell erzählt wie sie für die Einschätzung des
Films Güte in Gänze an sich relativ nachrangig bleibt: Die Messstation einer
Klimaforschungsstation in den Alpen fällt aus, und so macht sich die
Hauptfigur, der grummelige Schrat Janek (Gerhard Liebmann) zusammen mit einem
der Wissenschaftler auf, um erstaunt den zu beobachtenden schmelzenden
Gletscher in ekligem Rot vorzufinden. Die Verfärbung rührt freilich nicht von
Blut her, sondern von durchs schwindende Eis freigesetzten Mirkoorganismen,
kleinen „Genlaboren“, die im Magen der Wirtstiere die DNS der von diesen
gefressenen Lebewesen zu bizarren Mischwesen (stets mit gehörigem Insektenanteil)
kombinieren, auf dass diese sich ihren Weg bahnen. Was natürlich die Forscher
fasziniert, für diese aber ebenso zur Gefahr wird. Ebenso wie für den
Besuchstrupp um die resolute Ministerin (großartig: Marvins Mama, die
Theaterdarstellerin Brigitte Kren), der sich von unten im Tal anschickt, der
Station einen Besuch abzustatten. Mit dabei: Janeks Ex Tanja (Edita Malovcic),
die ihm dereinst das Herz brach.
Den Fluch der Bergwelt an seinen Umweltpeinigern, dem
Menschen, muss man als Öko-Botschaften nicht gar zu ernst nehmen (auch wenn
hier und da tatsächlich nachdenkend machende Momente gibt, so wenn der
gemütlich-bärtige Bergführer aufs kahle Felsenmeer verweist und sich traurig
erinnert, wie er hier noch als Kind gerodelt ist). BLUTGLETSCHER ergeht sich,
gottlob, nicht in AN INCONVENIENT TRUTH, bietet dafür eine nachgerade perfekte
Spannungsdramaturgie. Ohne Langatmigkeit, insbesondere in Sachen Exposition,
eskaliert die Situation zünftig und verliert sich doch nicht in
blindwütigem Terror-Aktionismus, weiß sehr elegant auch das Zwischenmenschliche
einzuflechten – und das sogar in einen gelungenen Schluss zu überführen bzw.
mit dem Horrorstoff zu verbinden. Ein Schluss, der an den von RAMMBOCK erinnert,
einem – je nach Auffassung – schwarzhumorigen oder tragisch-beklemmenden „Happy-End“,
das den Film unversehens über den bloßen Monster-Fun hinaushebt, dorthin, wo
etwa thematisch Larry Cohen mit seiner IT’S ALIVE-Trilogie (1974, 1978, 1987)
uremotional grimmig anrührte.
Bei aller effizienter Kameraführung, der Montage, dem
einfallsreichen Soundtrack (-einsatz) und der Choreografie der Darsteller
insbesondere in der Enge der Station, da diese als Box von außen attackiert
wird, sind in BLUTGLETSCHER auf der einen Seite die Schauspielerleistung und
-präsenz von Gerhard Liebmann (von seinem geliebten Hund hier mal zu Schweigen),
auf der andere das Mischungsverhältnis von Ernst und Humor hervorzuheben.
Liebmann in Parka und Strickmütze gibt zwar einen Genre-Prototypen, stellt in
seiner waidwunden Muffigkeit einen Kurt Russel jedoch leicht in den Schatten.
Naturgemäß bleibt in solch einer Story, die auf äußere Aktion und Reaktion in
einer Extremsituation hin angelegt ist, wenig Raum und Muße, die Figuren sich
hin zu handfesten Charakteren entwickeln zu lassen. Kleine Skizzierungen müssen
genügen und tun es hier auch, zumindest und vor allem bei Liebmann (und auch:
bei Brigitte Kren): Blicke, Gesten, vor allem aber eine enorme Körperlichkeit,
jeweils auch vom Kamerablick mitgeformt. In und über sie ist Liebmanns Janeck
nicht aus Versatzstücken der Lässigkeit, der Misanthropie etc. grob zusammengesetzt
wie aus einem Baukasten, sondern ergibt eine glaubwürdige, „organische“
Gestalt, von der verlotterten Trunksucht bis hin zum Verantwortungsbewusstsein.
Auch B. Krens kalkuliert-freundliche bis herrisch wirsche Ministerin ist nicht
nur ambivalent in ihrer Führungsrolle, die sie, als es hart auf hart kommt, beansprucht,
dabei für den Zuschauer nicht eindeutig sympathisch oder unsympathisch gerät: Sie
lässt diverse Facetten durchschimmern, sodass man sich sowohl ihre wie
Liebmanns Figur durchaus – keine Selbstverständlichkeit, eher noch eine Ausnahme
im reinrassigen Horrorfilm – in anders gelagerten Erzählungen (vom Familien- bis
Politdrama) denken könnte und gerne anschauen würde. Nicht umsonst wurde
Liebmann für die Rolle in der BLUTGLETSCHER mit dem Österreichischen Filmpreis
2014 ausgezeichnet, ebenso wie Krens Film dazu für den besten Ton und die beste
Maske.
Was den Humor anbelangt: Da rennt jäh ein hübsches Mädel (Coco
Huemer) von einer bestachelten Flugbestie verfolgt durchs Geröll. Wer sie ist (also
die junge Frau!), woher sie kommt, was sie da will, dass ist sozusagen Kren und
seinem Film aufreizend und augenzwinkernd egal; erklärt wird’s nicht – so ein
sexy Girl in Shorts gehört halt dazu. Und ein Highlight überhaupt ist, wie Mama
Kren wutschreiend einem mutierten Steinbock per Gesteinsbohrer zu Leibe rückt,
auf dass das Blut nur so spritzt. Damit ist es allerdings schon genug, denn
BLUTGLETSCHER ist zu keiner Zeit eine simple Parodie oder gag-versessene
Aneinanderreihung von Genre-Zitaten und -dekonstruktionen, noch erschöpft er sich im
bloßen Nachäffen der US-Vorbilder, wie das leider allzu oft bei
europäischen und insbesondere deutschen Werken der Fall, Projekte, für die am
liebsten gleich US-(B-)Gesichter gecastet und auf Englisch gedreht wird. Wie
RAMMBOCK mit seinem Hinterhofhaus funktioniert BLUTGLETSCHER für Fans und
Nicht-Fans auf aller Welt und hätte doch nicht (so) einfach irgendwo anders
(selbst nicht in Amerika) entstehen können. Soll heißen, es ist nicht nur eine
eigene Handschrift, die Krens Film auszeichnet, sondern auch eine
Regionalspezifik, die BLUTGLETSCHER als Horror-Beitrag interessant macht. In
diesem Sinne ist Hilde Beselers Erklär-Bär-Wissenschaftsvortrag über das, was da
wie so mutantenmonstermäßig vor sich geht (eine Dialogpassage, die leider im
Trailer den Eindruck vom Film ein bißerl zu versauen vermag), arg theatral-gestelzt
und mithin der most cringeworthiest moment von BLUTGLETSCHER, dabei aber eben
auch als lustvoll überzogenen genre-obligatorischer Standard zu genießen und
darüber hinaus: So deppert, sicherlich auch weil schlicht: hochdeutsch. Es ist das
Österreichische, das den Film adelt, von der Sprache bis zum Gemüt und der
lakonischen Konsequenz, die das Alpenrepublikskino gegenüber dem hiesigen so
voraus hat. Wenn es also etwas an BLUTGLETSCHER zu beweinen gibt, dann dass er nicht
taugt als leuchtendes Beispiel eine gelungenen individualistischen deutschen
Genrekinos der blutigen Art. Bei RAMMBOCK hatte immerhin noch die Sigrid
Hoerners Moneypenny Filmproduktion in Berlin und das Das kleine Fernsehspiel
(Redakteurin: Katharina Dufner) die Finger im Spiel (außerdem ist Hessler
Deutscher, so!).
Viel gekostet hat BLUTGLETSCHER nicht, gerade mal 2
Millionen Euro plus, lächerlich oder erstaunlich wenig, betrachtet man, was
Kren damit auf die Beine gestellt hat. Zur Erinnerung: jeder Wald- und
Wiesen-TV-Film hierzulande bringt es – ohne Alpenstation, Killerviehzeug und
Metzeleffekten – auf rund 1,4 Mio. Möglicherweise wäre BLUTGLETSCHER, hätte man
Kren das Zehnfache, das die Umsetzung des Ursprungsbuchs gekostet hätte, zur
Verfügung gestellt, gar nicht so wunderbar geworden wäre. Sicher ist aber, dass
man etwas Ordentliches für sein Geld bekommt, ob Filmfinanzierung oder
Kinokarte. Auch das dürfte Kren so interessant für Hollywood und Co. machen.
Ob Tugend aus der Not, ob bewusste Entscheidung, was
BLUTGLETSCHER nicht zuletzt und gerade als Schauerfilm außerdem positiv
auffällt, ist, dass bei allem Monster- und Körperhorror Kren dezent in dem
bleibt, was er zeigt. Es geht blutig und eklig zu, aber diese Schauwerte werden
nicht ausgereizt, geschweige denn überzogen – in ein oder zwei Momenten wünscht
man sich bei aller Mageninstabilität gar eine paar Sekunden längere (oder
deutlichere) Betrachtung der Scheußlichkeiten. Aber es geht BLUTGLETSCHER eben
nicht um derart unmittelbare, visuelle Viszeralitäten. Auf den Slasher-Film
übertragen ist BLUTGLETSCHER eher HALLOWEEN als FRIDAY THE 13TH, sind
Verwundung und Mutation im Zweifel eher Mittel zum (statt Selbst-) Zweck, schockhafte
Auflösung der Spannung, Buh!-Überraschung oder ambivalentes Mitleid angesichts von
Deformationen. Alles in (richtigen, ggf. Unter- als Über-) Maßen, denn was Kren
versteht und herzustellen weiß, ist, was letztendlich die wahren Meisterwerke
von beliebiger Schmuddelduzendware abhebt: dichte Atmosphäre.
Dazu gehört auch, dass die Kreaturen weitgehend nicht aus
dem Computer stammen, sondern in guter alter Manier richtig gebaut sind, physisch
anwesend vor der Kamera statt nachträgliche Pixelmonster, mithin nicht von
ihnen zu viel preisgegeben wird, auf dass man sich daran nicht übersatt sehen
könnte. Das unterstützt die saftige Taktile des Films – wunderbar realistisch mutet die übergroße
Kellerassel an –, hat aber auch in klitzekleinen, je passenden Momenten den
Charme mal Ray Harryhausen’scher Monsteranimation, mal der Augsburger Puppenkiste,
was Kren und Monteur Daniel Prochaska per Schnitt in sichtbarer Hingabe gut im
Griff haben, um die Ungeheuer und ihre Erscheinung ebenso wie alles andere der Geschichte,
der Szenendramaturgie und ihrer Gesamtwirkung unterzuordnen, statt einfach nur
auszustellen.
Kurzum: BLUTGLETSCHER ist ein großes, wiewohl ein ernstes Vergnügen,
mehr als nur solide, stimmungsvoll und ohne Kokolores. Ein Film, den
dankenswerterweise die noch junge Filmverleihgenossenschaft Drop-Out-Cinema als
solchen erkannt hat und hierzulande ab 6. Februar in die Kinos bringt.
Anschauen!
Die Webseite zu BLUTGLETSCHER mit Trailer, Regiestatements etc. finden Sie HIER.
Bernd Zywietz
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