Montag, 21. April 2014

Gewinner des 10. achtung berlin - new berlin film award


Zum 10. Geburtstag präsentiert das Festival für Produktionen aus Berlin und Brandenburg 2014 ein bunt gemischtes Programm, das es den Jurys wahrlich nicht einfach machte, insbesondere im Spielfilmwettbewerb. Das heißt nicht, dass viel Schlechtes dabei war, im Gegenteil, aber derlei hervorstechende Beiträge wie im Jahr zuvor Aaron Lehmanns KOHLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL oder SILVIE von Nico Sommer, die viele Auszeichnungen auf sich vereinigen konnte, gab es auch nicht - vielleicht auch: glücklicherweise.

Am besten hatte es entsprechend die "Hauptjury", bestehend aus der Schauspielerin Franziska Petri, dem Regisseur Edward Berger (u.a. JACK) und Produzenten Martin Heisler (u.a. HUSTON). Denn diese konnten gleich drei Preise vergeben.

So ging jener für den besten Film 2014 an MILLIONEN von Fabian Möhrig. Ein Mann, mit seinem Leben, mit Familie und Job eigentlich im Reinen gewinnt die Unsumme von 22 Mio. Euro im Lotto - woraufhin eben dieses Zufriedenheitsleben langsam zerbricht. Wie Möhrig das Unglücksglück seziert, ist tatsächlich eindrucksvoll, einfach, weil er Standardsituationen originell ausgestaltet und auch die sich anbahnenden und entfaltenden Konflikte immer ein Stückweit jenseits des Gängigen, Wohlbekannten ansetzt. Getragen wird diese "universelle Parabel" (so die Jury) von einem glänzenden Hauptdarsteller, Andreas Döhler, der einer der, wenn nicht gar der eindrucksvollste Schauspieler im Wettbewerb war. Lediglich der Schluss, der fällt dann doch etwas ... schade aus, einfach, weil er kein richtiger ist - das "Aussuppen" von Filmen, eine notorische Erkrankung des deutschen Kinos.

Zur besten Produktion wurde DIE GESCHICHTE VOM ASTRONAUTEN (bereits auf dem diesjährigen Max Ophüls Preis zu sehen) gekürt, Regie-Debüt des Schauspielers Godehard Giehse, der hier wie in MILLIONEN auch eine Nebenrolle hat. Eigentlich ein Film, der von der Inhaltsbeschreibung abschreckt oder einmal mehr verkünsteltes Kopfkunstgeburtskino verheißt: Eine Schriftstellerin auf Mallorca, die ihren Stoff entwickelt, Meer, herrliche Finca, Ehereflexionen der Nachbarschaft, eine alte Dame, Weißwein, junger Liebhaber lange, ruhige Einstellungen... Umso aufregender gestaltet sich aber DIE GESCHICHTE VOM ASTRONAUTIN, ein Film, der überraschend sicher, eindringlich, komplex und geheimnisvoll, nicht aber selbstzweckhaft mysteriösierend daherkommt. Nicht immer ist klar, was eigentlich das soll, schließlich auch, was Wirklichkeit ist oder zumindest gefiltert durch die Wahrnehmung, durch die sich im Kopf der Hauptfigur herauskristallisierende, realitätsgreifende fiktionale Story.

Wie die Autorin von Stephanie Petrowitz gespielt wird, ist bravourös und erfrischend: Zunächst distanzierte, knappe Ironie, doch immer mehr verliert die Figur (und mit ihr der Zuschauer) den festen Boden unter den Füßen, fallen die Lebensgeschichten, die sie erfährt, miterlebt, erzählt bekommt, mit ihrer allegorischen vom Astronauten zusammen, spiegeln sich ineinander. Sicher, rätselhaft, künstlich arrangiert, aber im positiven Sinne, mit starken, "einfachen", wohlkomponierten Bildern, und - was man ja sonst leider selten sagen kann - ein Film, der es wert ist, darüber nachzudenken, zu interpretieren, zu analysieren, zu puzzeln oder einfach bloß die innere Logik quasi ästhetisch wunderbar unaufgelöst hinzunehmen, in ihrer Stimmigkeit aufzunehmen und zu genießen.

Den Preis für die beste Regie erhielt Nico Sommer, dessen SILVIE im letzten Jahr als bester Film nicht nur von der Festivalhauptjury, sondern auch vom Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) ausgezeichnet wurde. Bereits beim MOP 2014 gelaufen, fällt FAMILIENFIEBER allein wegen seiner Story gegenüber SILVIE ein bisschen ab: Zwei verliebte Teenager bringen ihre Eltern fürs Wochenende zusammen, doch die Frau des einen hat mit dem Gatten der anderen eine Affäre. So prallen in dem Herrschaftshaus in der Brandenburger Idylle nicht nur zwei Gesellschaftsstufen aufeinander, sondern es kommt auch zum Beziehungsknatsch. Das ist nun keine sehr frische Basisidee mehr, und der "dokumentarische" Videokameraeinsatz zur Selbstreflexion - ein Sommer'sches Stilmittel - wirkt hier auch etwas sperrig. Nichtsdestotrotz hat der Film nicht nur Pepp und Witz, sondern einen besonders Peter Trabner in der/einer Hauptrolle, der als gehörnter Ehemann und in seiner Kunst des Impro-Spiels so famos ist wie selten. Eben darin liegt, einmal mehr der Reiz, schöpft der Film seine Verve: FAMILIENFIEBER ist ein weiterer Beitrag des "German Mumblecore", ein mit wenig Mitteln, dafür mit viel Schwung, Leidenschaft und Spontanität in wenigen Tagen und fast keinem Budget entstandenes Beispiel des gelungenen, talentierten Augenblicksfilmens.

FAMILIENFIEBER "passt" denn umso mehr zu achtung berlin, als nicht nur derartige Filme hier besonders ein Zuhause finden, sondern auch weil der Begriff des German Mumblecore von einer Veranstaltung zu dieser Art Film und Drehens (jenseits üblicher steifer Planungs- Förder- und Finanzierungswege) herrührt (wenn auch wiederum sich der Anstoß zu Label-Bildung, falls ich mich richtig erinnere, dahingehend auf die VdFk-Jurybegründung zur PAPA-GOLD-Prämierung bei achtung berlin zurückführen lässt... - mehr zu "German Mumblecore" in ANSICHTSSACHE).

FAMILIENFIEBER jedenfalls verdient den Regiepreis nicht zuletzt deshalb, weil Sommers Regie hier Spielleitung ist, mithin auch das Ensemble seiner nach einem Grobplan agierenden, im Moment seienden Schauspielerinnen und Schauspieler damit in gewisser Weise und zurecht mitgeehrt wird.


Glückwunsch all diesen Prämierten, ebenso wie den übrigen Gewinnern - die da wären:

new berlin film award in der Kategorie Beste Kamera:
THE VISITOR (Kamera: Paola Calvo; Regie: Katarina Schröter)

new berlin film award in der Kategorie Bester mittellanger Film:
SUNNY, Regie: Barbara Ott

new berlin film award in der Kategorie Bester Kurzfilm:
CIRCUIT, Regie: Robert Gwisdek; Lobende Erwähnungen (Kurzfilm):
THIS IS ABOUT SENSES AND THIS IS ABOUT HAPPINESS (R: Rike Hoppe)
und BLAUER TRAUM (R: Malte Stein)

Der Preis der Ökumenischen Jury:
WIENER ECKE MANTEUFFEL, Regie: Florian Schewe

Preis des Verbands der deutschen Filmkritik (VdFK):
ANTONS FEST, Regie: John Kolya Reichart; Lobende Erwähnung: MÄNNER ZEIGEN FILME & FRAUEN IHRE BRÜSTE (Regie: Isabell Suba)

The Exberliner Film Award:
A PROMISED ROSE GARDEN, Regie: Lisa Violetta Gass
Lobende Erwähnung: THE SILENE BETWEEN TWO SONGS, Regie: Mónica Lima

Zitty-Leserjury-Preis (in der Kategorie Bester mittellanger Film):
HOLANDA DEL SOL, Regie: Florian Lampersberger, Daniel Abma


zyw

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