Zum Filmfest Max Ophüls Preis 2014 (I)
Eigentlich fast schade: Erst die
Schelte verleiht dem Lob seinen Wert. Und wer insbesondere als Kritiker und/oder
Festivalberichterstatter immerzu nur positiv gestimmt daherkommt, läuft Gefahr,
nicht ernst genommen zu werden. Sei es, weil er in den Ruch gerät, euphorischer
Selbstblendung zu unterliegen, sei es, weil er als bewusster Claqueur verdächtigt
wird. Beim 35. Filmfestival Max Ophüls Preis (MOP; 20.-26. Jan.) waren nun mal aber unter den
Wettbewerbslangfilmen verblüffend viele gute Beiträge. Und selbst die, die
nicht so geglückt waren (etwa DER BLINDE FLECKT, Daniel Harrichs Politthriller
über das Oktoberfestattentat 1980 und die fragwürdigen Ermittlungshintergründe;
mehr dazu demnächst hier) sind doch (zu was) gut.
Von den sechszehn Beiträge überzeugte
also schon eine deutliche Überzahl; mehr als in einem der Vorjahre. Die neue
Qualitätswelle des deutschen (bzw. deutschsprachigen) Kinos setzt sich damit 2014
fort. Woran das liegt oder besser: wie genau sich das ausdrückt,
versinnbildlichte das diesjährige Festivalplakat: Kein Küken, sondern ein
ausgewachsener Greifvogel schlüpft da, die Klauen schon ausgestreckt, aus einem
Ei mit MOP-Logo.
Das ist nun vielleicht insofern
passend, als mancher der Filmemacherinnen und Filmemacher schon mit großen und
kleinen Projekten in Saarbrücken war, sich dort entwickeln konnten. Mehr aber
gilt: Die präsentierten Werke – MOP hin oder her – zeichnen sich durch eine
bemerkenswerte kreative und handwerkliche Reife aus. Selbst wenn Thema und
Ansatz (auf den ersten Blick) wenig Innovatives verheißen: diese wurden originell
aufgegriffen, erzählerisch gekonnt verpackt und/oder ästhetisch umgesetzt. Von
den vielen SchauspielerInnen-Entdeckungen ganz zu schweigen...
So kann man 2014 (wie sonst)
natürlich streiten, ob dieser oder jener Film einem gefallen hat. Dass die
meisten der Nachwuchsregisseure mit ihren Teams aber wissen was sie wollen und
sich souverän darin zeigen, es auch (hin-) zu bekommen, dass dieses zusammen
besehen erfreulich bunte Angebot so frisch und relativ unverbraucht ausfällt,
das untergräbt gehörig das Bild von den selbstzentrierten,
verkünstelt-irrlichternder Kinofeingeistern und unreifen Praxis-Dilettanten mit
unfertigen Ideen, die die Filmhochschulen angeblich alljährlich auf den Markt
spucken, auf dass sie deutsche Kinos verstopfen. Es mag auch als ein Zeichen
für eine frische Brise nicht zuletzt in den Fernsehredaktionen sein, die ja
viele der Projekte mitbetreuen bzw. (co-)finanzieren. Möglich allerdings auch, so
die gegenläufige Lesart, dass ein neuer, rauer Wind bläst, dass es doch mit dem
deutschen Nachwuchs en gros überhandnimmt, so dass gerade die Festivals ihre
strikten Erstaufführungsregeln lockern (vor allen in Konkurrenz zu München und
Berlin) und gerne auch (bzw. notgedrungen) jene Filme präsentieren, die es in
sich haben, was sie woanders schon beweisen konnten. Schon das letzte FILMZ –
Festival des deutschen Kinos (November 2013 in Mainz) und nun eben Saarbrücken präsentierte
mit einigen ihrer Wettbewerbsbeiträgen keine Premieren. Beim MOP darunter der
Hauptpreisträger LOVE STEAKS von Jakob Lass, der zuvor in München bereits alle
Nachwuchsauszeichnungen erhielt.
Man kann es aber interpretieren,
wie man will (sogar als Beleg für die Mut-, Saft- und Visionslosigkeit der
allzu vielen deutschen Hochschulfilme, auf die langsam sogar die Festivals
nicht mehr unbedingt Lust haben). Ein Gewinn fürs Publikum ist und war das
Programm (in Mainz wie Saarbrücken) jedoch auf jeden Fall. Und was in Sachen
„Chance“ und „Vielheit“ verloren gehen mag, das tut vielleicht – aber nur
vielleicht – dem deutschen Film auch in dieser Ecke der Kinolandschaft ganz gut.
Ein bisschen aufmerksamkeitsdarwinistischer Konkurrenz- und Selektionskampf.
Weil es nicht nur dem Renommee des und der Geschmacksbildung hin zum hiesigen
Films zuträglich sein mag (so wenn die wirklich sehenswerten Produktionen noch
mehr aus dem Meer des Mittelmaßes hervorgehoben werden), sondern auch, weil es
Filmemacher und Förderer auf richtige Weise anspornen könnte. Sprich: Wenn ein
Preisregen für LOVE STEAKS geeignet ist, ihn in Sachen Zuschauerneugier und
Besucherzahlen an FACK JU GÖTHE und KOKOWÄÄH heranwachsen zu lassen, dann ist
nichts Schlechtes daran. In diesem Sinne war auch jedes Klagen über den „Hype“
um OH BOY verquer als Plädoyer fürs interessante deutschen Kino...
Zurück nach Saarbrücken. Für die
Beobachtung dieser (vieleicht doch nicht so neuen) Qualität im aktuellsten
hiesigen Film hilft, dass nicht unbedingt das aufgegeben wurde, was man als
„deutsche Filmfest-Genres“ zu bezeichnen wäre. Natürlich gab es auch 2014 die
unvermeidlichen Comic-of-Age-Tragikomödie, die Boy-meets-Girl-Turbulenz, das
enigmatische Drama in gepflegter Aufmachung, bei dem man auf den ersten Blick
nie so recht weiß, um was es (ihm) denn so geht, der Historienfilm, oftmals um
der deutschen liebste Katastrophe, die Nazizeit und den Zweiten Weltkrieg. Der
Emigranten-Problemfilm, die Ausländer- (oder Culture-Clash-)Komödie, der Lebenlustige-junge-Frau-in-existenziellen-Nöten-Film
usw. Derlei gab es beim MOP erneut zu besichtigen, in diversen Variationen und
Kombinationen – und nicht trotz, sondern gerade weil man von derlei Geschichten
und ihren Verpackungen und Einfassungen schon so viel gesehen hat, war der 35.
Max Ophüls Preis ein Genuss, hat man doch all die Jahre viel zu oft Beispiele
serviert bekommen, die einen allzu oft die Achsel zucken ließen. Anders nun als
dieses Jahr.
Was etwa die Wirren und Gräuel des
Zweiten Weltkriegs als beliebtes (Filmförder-) Historiensujet betrifft, hat
sich jenseits des Guido-Knoppismus sowieso schon viel getan. Der TV-Zweiteiler
UNSERE VÄTER, UNSERE MÜTTER machte vergangenes Jahr schon viel richtig (wenn
auch u.a. nicht unbedingt den Titel …). In Saarbücken kam nun Rick Ostermann
(Buch u. Regie) und geht mit WOLFSKINDER (lief bereits in Venedig) noch ein
gehöriges Stück weiter. Ohne Degeto-Seidenmattheit, ausgestellter Melodramatik
und wohlfeiler Schreckenszelebrierung befasst er sich mit Thema, das angetan
wäre, skeptisch zu werden: deutsche Kinder, die auf sich allein gestellt, von
russischen Soldaten gesucht auf dem Balkan, durchschlagen müssen. Der Krieg ist
zwar offiziell schon vorbei, aber weder sind für die Protagonisten derlei
historische Großrahmungen von irgendwelcher Bedeutung, noch, so zeigt der Film,
ist das große Wüten hier, das unbarmherzigen Ausputzen da, zumindest abseits
der großen Schlachtfelder, sinnig zu trennen. Und zumindest, wenn für die
kleinen Menschen die simple wie fürchterliche Formel gilt: Leben = Überleben.
Darum geht es nämlich in WOLFSKINDER,
und darum geht der Film einem an die Nieren. Denn gezeigt werden weniger große
Jungen- und Mädchenaugen, die leidend das Geschehen betrachten, seine Opfer
werden. Sondern wie eben diese Jungen und Mädchen selbst mitspielen in diesem
Fressen-vor-Moral-Spiel – eine unbehagliche Form der Adaption, einem
funktionalen Erwachsenwerden. Bis hin, dass sich ein Mädchen, nachdem sich
einer der Schutz bietenden Partisanen an ihr vergehen wollte, die braven Zöpfe
mit dem Taschenmesser abschneidet.
Von zwei Brüdern handelt
WOLFSKINDER (zunächst). Aber Ostermann kehrt die übliche Konstellation um,
freilich, ohne sich dabei in einem lediglich spiegelverkehrten Schematismus zu
ergehen: Nicht der Ältere, Hans (Levin Liam), muss als Vaterersatz dem Kleinen
die Härte des Daseins anerziehen, es ist der jüngere Fritz (Patrick Lorenczat),
der kühl und unter größter Gefahr ein Pferd stielt, um sich hernach
anzuschicken, es zu erschießen, derweil der große Bruder das noch versonnen
streichelt. Mit blutigen Fleischklumpen, herausgeschnitten aus dem toten Tier,
laufen sie zur Mutter, die im Versteck auf dem Krankenlager liegt. Von dort aus
trägt sie den Jungen auf: sich zu einem Bauernhof durchzuschlagen, wo sie schon
mal Unterschlupf fanden, dabei ja nicht ihre Namen zu vergessen, nicht, wer sie
sind. Am nächsten Morgen rüttelt Fritzchen den Hans wach und meint, knapp,
sachlich-beiläufig, während er sich schon abwendet: „Die Mutter ist tot“. Es
ist nicht der letzte Moment in diesem lakonischen Film, der einem einen Schauer
über den Rücken jagt. Hans und Fritz machen sich auf den Weg, Hans verliert den
kleinen Bruder, findet andere Gefährten, zwei Mädchen, ein Bub ohne Schuhe...
WOLFSKINDER ist ein Film über eine Odyssee oder verheißendes Ziel. Bewegung
heißt fliehen und zugleich: am Leben bleiben.
Wie Fritzchen gerade kein kleines
Monstrum ist, wie Härme und Pragmatismus das Kindliche gerade nicht ausgelöscht
haben, das zeigt Ostermann übertragen auf das wahrliche Grauen, jedoch tut er
es mit einem neugierigen, bisweilen gar faszinierten Blick. Einer, der die
Auflösung von Ordnung und Menschlichkeit weder hehr anklagt, noch allzu cool
ausstellt, sondern der notiert, dazu den der Kinder ohne Naivität auffängt. Es
ist keine Zeit (mithin kein Film) ausschließlich der guten und, auf der anderen
Seite, der unbarmherzigen Herzen, der Geschäftsmäßigkeit oder der Güte, des
Kalküls oder des barbarischen Wütens, der Verrohung oder der gesitteten Zivilisation
– einer Zivilisation, deren Spuren die Kindern in Form von verdreckten
Strickpullundern und Kleidchen noch fadenscheinig am Leib tragen. Es ist eine
unheimliche Ambivalenz, die WOLFSKINDER auszeichnet, denn sie kommt ohne
überdeutliche Brutalitätsdarstellungen aus, findet dafür oder stattdessen andere,
eindringlichere Bilder und Situationen: Wie ein Bauer die kleinen Flüchtlinge
aufnimmt – und stumm dreinschauend den Suppenteller nicht rüber reicht, ehe
Hans versteht und die Puppe eines der Mädchen an die Tochter des Hausherren als
„Bezahlung“ geht, die sich glücklich daran erfreut. Und nur einmal sieht man
die geworfenen Kinder sich wirklich wie Kinder unterwegs freuen, lächeln,
lachen: wenn sie sich die rohen, blutigen Fleischstückchen hungrig in den Mund
stecken, die Hans ihnen von einem gefangenen und getöteten Huhn abschnippelt.
Weniger geht es Ostermann in diesem
Sinne um den großen Handlungsbogen, sondern um Stationen, um das Episodische
(und zugleich: nachgerade Märchenhafte), das hier ein realistisches ist, eines der
existenziellen Krisendaseins. Ein Bauer kommt auf einen Karren vorbei. Deutet
auf einen der Knaben. Der ihm prompt übergeben wird, gereicht in welche Zukunft
auch immer, als Arbeitsknecht oder Ersatzsohn unter neuer Identität. Wie andere
Figuren verschwindet der Bub damit aus der Handlung. Haben sie Glück gehabt,
sind davon gekommen? Und auch die Fotografie des Films (Kamera: Leah Striker)
fügen sich in diese Gesamtwahrnehmung, in dieses Weltbild. Sicher, Soldaten
sehen wir, die auf Kinder schießen, knapp eine ermordete Bauernfamilie vor
ihrem Haus, die Frau offenbar vergewaltigt. Aber auch wunderschöne Bilder, die
der Balktikumlandschaft, idyllische Birkenwälder, Schilfufer in einem spätem
Sommerlicht. Wie jene Natur in Terrence Malicks THE THIN RED LINE ist diese
poetische Herrlichkeit, Kontrast zur und zugleich Ergänzung von menschlichen
Verheerung, tröstlich in ihrer Pracht und schrecklich in ihrer Ungerührtheit. WOLFSKINDER
ist ein prächtiger und zugleich karger, vor allem ein unheimlicher Film, macht
er doch bisweilen eindringlich erfahrbar, was Krieg und Chaos innerlich
anrichten; gerade: wie und wenn man sich damit arrangiert. Und insbesondere, wenn
es (und weil es) innerhalb dieser (Post-)Kriegswelt nichts mehr zu beklagen
gibt, sondern höchstens nur eine stumpfe Ahnung von Trauer. Allerdings:
WOLFSKINDER ist kein grimmiger Film, einer der Hoffnung macht und das Humane
nicht verloren gibt. Selbst wenn Hans seinen Fritz am Ende wieder findet und
ihn doch schon verloren hat.
Der
„Augenpippi“-Film des MOP 2014, bei dem auch gestandene Männer „was im Auge“
hatten, war Frederik Steiners (bereits in Hof gezeigter) Film mit dem etwas
harschen Titel UND MORGEN MITTAG BIN ICH TOT sowie mit einer glänzenden, ans
Herz gehenden – nein, nicht Jasna Fitzi Bauer, sondern – Liv Lisa Fries, die in
Saarbrücken prompt den Nachwuchsdarstellerinnenpreis gewann. Fries spielt die
22-jährige Lea, die an unheilbarer Mukosviszidose leidet, stets schnaufend und
keuchend ihre Sauerstoffflasche dabei hat. Nach Zürich fährt sie, um dort ihrem
Leben ein selbstbestimmtes und würdevolles Ende zu setzen. Ihre Familie, Mama,
Schwester, Oma lässt sie per SMS nachkommen für den gemeinsamen Abschied, und
dass ihre Mutter wenig freudig auf die Entscheidung der lebenslustigen, aber
totgeweihten Tochter reagiert, ist ebenso verständlich wie dramaturgisch
konfliktreich.
Dem Traurigen von Leahs Geschichte setzt
der Film ihren Galgenhumor entgegen, wie überhaupt einen manchmal grimmigen,
immer aber feinfühlige Witz. Dazu bieten Steiner und seine Autorin Barbara de
Kock nicht nur glaubwürdige Einblicke in die Verfahrensweise der Sterbehilfe,
sondern spielen auch mit den Handlungsstandards: Im kleinen Hotel lernt Leah
den sarkastischen Moritz kennen, der psychologische Probleme hat; der Arzt, der
sie entjungfert und ihr das Herz gebrochen hat, reist nach. Doch das sind nur dramaturgische
Spielereien mit den Erwartungen, sogar Hoffnungen der Zuschauer auf eine
wundersames Happy End. Für ein solches ist UND MORGEN MITTAG BIN ICH TOT, bei
allen „manipulativen“ Griffen (wie der Musik, die manches Mal vielleicht ein
bisschen zu sehr weiß, was sie emotional anrühren will), freilich zu ehrlich
und konsequent. Nicht nur in seiner Form, sondern auch in seiner (offenen)
Haltung.
So bleibt man tatsächlich bis zum
Ende und darüber hinaus zwiegespalten, weiß man doch nicht, was man (sich)
dieser liebgewonnenen Leah (er)wünschen würde, was das Beste für sie und ihre
Familie (und: für sich als Zuschauer) wäre. Einwenden ließe sich, dass das
Traurige in seiner Melodramatik den ambivalenten Blick aufs extreme Thema „Entscheidung
für den Tod“ ein wenig verstellt. Aber wie Steiner und seine Darsteller im
klugen „Mitternachtstalk“ zum Film verdeutlichten, ist die Auseinandersetzung
damit ohnehin je eine des Augenblicks, jeweils ein Einzel- und deshalb UND
MORGEN MITTAG BIN ICH TOT eben ein Glücksfall. Weil er sich selbst nicht nur
einer eindeutigen Position verweigert, sich selbst seiner Antwortlosigkeit
bewusst ist, sondern so warmherzig wie überzeugend in seinem dramaturgischen
Changieren für beide Optionen „spricht“ und darin unaufdringlich und mit
leichter Hand Respekt für Todgeweihte und ihren Entschluss, bei dem es per se
kein richtig und falsch gibt, fordert.
SITTING NEXT TO ZOE: Zwei
pubertierende Mädchen, 15-jährige beste Freundinnen. Die türkischstämmige Asal
ist die ruhige, etwas schüchterne, gut in der Schule, darf dafür aufs Gymnasium.
Die andere, Zoe, ist pummelig, fährt ganz auf schrille Klamotten und
ausgefallenes Make-up ab, wird von Mama genervt und mag deren neuen Freund
nicht und sieht einer freudlosen Zukunft als Supermarktkassiererin entgegen.
Dann entdeckt Zoe einen Fashion-Wettbewerb, dessen Gewinner eine Ausbildung in
einer tollen Pariser Schminkschule winkt, und Asal verliebt sich in einen
feschen Schweden-Boy, mit dem sie und Zoe zu einem Wanderwochenende aufbrechen.
Kennt man alles, die Probleme und
Gefühlswirren, ob Junge oder Mädchen, vom eigenen Erwachsenwerden, mehr aber
noch: von anderen Coming-of-Age-Filmen vor allen auf Festivals. Aber:
Pustekuchen! Na ja, nicht ganz, denn tatsächlich, natürlich erzählt Regisseurin
Ivana Lalović
zusammen mit ihrer Co-Autorin Stefanie Veith im schweizerischen SITTING NEXT TO ZOE vom
Immergleichen jener Reifungszeit, in der Eltern sowieso nie irgendwas kapieren.
Aber wie beschwingt und zugleich zwingend, auf den Punkt hin, sie das tut, das
nimmt ein. Hinreißend die hübsche Leah Bloch, für die Rolle der Asla ohne
Kameraerfahrung von der Straße weg engagiert; wie sie im Spiel zurückgenommen
und zugleich herzzerreißend leidet, wenn ihr nach der ersten (und einzigen)
Nacht der schmucke Kai die kalte Schulter zeigt, und sie, notgedrungen, daran verzweifel
und hernach wachsen muss, ohne dass die Seelenschrammen ganz verschwinden. Passgenau
stimmungsvoll dazu die Songs (wie der herzschmerzwehmütige „Love is a Film“ von The Playgrounds), die Kamera, das Licht. In kleinen Szenen und Konflikten wie
in den großen Entwürfen der Orientierungslosigkeit bleiben Veith und Lalović geerdet, humorvoll und ernst
und doch auch immer – ganz passend – ein bisschen träumerisch, ein bisschen
stürmisch. Die richtige Atmosphäre und Perspektive, den nicht neutralen, aber
dafür umso glaubhafteren Blick für die Hormon- und Sehnsuchtswallungen, die
einen in einer solchen Zeit um- und antreiben, solche, die rückschauend stets
etwas albern und überzogen erscheinen, all der Kummer, all das Schmachten, all
der Krach, die aber dafür umso klarer und reiner waren (was natürlich manch
abgeklärten Erwachsenen heimlich neidisch macht oder traurig ob des Verlusts).
Dass SITTING NEXT TO ZOE, der viele Lebenssorgen und
Glücksmomente einfängt, ohne konstruiert zu wirken, denn auch am Ende ein wenig
melodramatischen Überschwang hat und sich ein kleinbisschen Zauber-Schluss
nicht verkneifen kann (oder will), zeigt nur, wie hingebungsvoll sich die
beiden erwachsenen Frauen selbst trauen, in der Welt ihrer zwei jungen
Protagonistinnen ein- und aufzugehen. Und wie wissend-witzig dahingehend
SITTING NEXT TO ZOE in seinem Sprachengemisch (Deutsch, Schwizerdütsch,
Englisch, Türkisch, Schwedisch) gerät, belegt die – zunächst, und vor allem von
Frauen im Kinopublikum belachte – „Rache“ Asals und Zoes an den zickigen
hochnäsigen Klassenkameradinnenschönheiten, die auf die coole Party der
Heldinnen wollen – indem diese dafür ihre hochhackigen Schuhe draußen lassen
müssen. Wie sich das auf/für Jungs „übersetzen“ ließe, ist freilich, aller
geschlechterübergreifender Kollektiverfahrung der Pubertät, eine andere Frage
...
(Zum MOP 2014 hier
demnächst mehr)
Bernd Zywietz
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