Es war ja den ganzen Tag schönes Wetter. Und man hat schon gedacht, es würde kein richtiges Ludwigshafen-Filmfestival werden: Warme Sonne an einem Junitag? Das hat es noch kaum je gegeben, hier in der Kinozeltstadt!
Gottseidank kam abends um halb Neun das Unwetter, und man wusste: Hier bin ich richtig, jetzt bin ich angekommen.
Anne Wilds Eröffnungsfilm "Schwestern", der weitgehend sommerlich-sonniger Wiese spielt mit diversen Streitereien einer Familie, bot das reizvolle Kontrastprogramm zum realen Wetter; noch passender freilich der zweite Film des Abends: "Du hast es versprochen" von Alex Schmidt. Die Regisseurin hat ihre Handlung auf eine herbstliche Insel verlegt, viel nasser Boden, viel dunkler Wald, viel brausender Wind: Ein wahrhaftiges 3D-Erlebnis, wenn dazu der Regen auf die Zeltplanen prasselt und die realen Böen die aufgespannte Leinwand blähen, wenn die Kühle der Nacht (und der neu installierten Klimaanlage) Gänsehaut erzeugen.
Es liegt natürlich an mir, dass der Film wirkte, wie er wirkte. Ich bin empfänglich für
Gruselspannung, wahrscheinlich, weil mein normales Leben so schön ruhig verläuft. Wie ein Kind gucke ich den Zaubertricks auf der Leinwand zu, die ich schon so oft gesehen habe, die ich völlig durchschaue, und gebe mich hin. Wenn einer einen Kleiderschrank weit öffnet, wird nach dem Schließen der Tür sicherlich irgend ein unheimlicher Kerl im Zimmer stehen! Wenn man unbedingt weg will von der Insel, sind auf jeden Fall alle Schiffsmotoren kaputt! Wenn die Schauer über einen wallen sollen, erklingt auf dem Soundtrack eine einfache Spieluhrmelodie! Wenn süße Kinder später mal nachtschwarze Engel werden! Natürlich macht nachts im Haus keiner das Licht an, klar gibt es einen grobklotzig-seltsamen Hausmeister, und im Wald eine alte Ruine mit Falltür in einen tiefen Schacht.
Dort haben früher, als sie noch Kinder waren, in ihren gemeinsamen Urlauben Hanna und Clarissa gespielt. Was genau - das haben sie vergessen. Denn da war noch ein anderes Mädchen, Maria... 25 Jahre später begegnen sich die Kinderfreundinnen wieder, sie beschließen, einen Freundinnenurlaub zu machen auf der früheren Urlaubsinsel. Maria - die ist damals gestorben, wie und warum weiß man nicht. Doch noch immer ist sie gegenwärtig. Hanna beginnt, sie zu sehen. Hanna beginnt, sich zu erinnern. Hanna beginnt zu verzweifeln. Hanna will fliehen und kann es nicht.
Eine kleine Schuld, in der "unschuldigen" Kindheit begangen, hat große Auswirkungen. Das Vergessene kehrt mit Macht zurück. Lea, Hannas Tochter, freundet sich mit dem geisterhaften Marienkind an... und es ist klar, dass die Gruselstory, die Hanna 25 Jahre vorher erfunden hat, wahr wird: Vom Kind, das im Wald eingesperrt wird, das von Jahr zu Jahr wütender wird und darauf wartet, dass man es befreit...
Ach: Es sind alles Versatzstücke des Standardrepertoires. Da knarzt und knarrt es überall, da taucht wer aus dem Nichts auf und verschwindet wieder zurück, da vermischen sich Erinnerungen und Fantasien, Rückblenden und Gegenwart. Katharina Thalbach spielt eine hexenhafte Fischverkäuferin, Max Riemelt den knorrig-standfesten Fischer, Thomas Sarbacher den wilden Mann im Wald: Man braucht klare Typen, um darauf bauen zu können. Und wie gesagt: Das Reiz-Reaktions-Schema funktioniert bei mir.
Wobei. Andererseits. Was wirklich gruslig ist, sind die Dialoge. Die sind künstlich, steril, mit Worten und Satzkonstruktionen, die keiner benutzt, in Satzmelodie und Sprachduktus überdeutlich - das sind so die Merkmale schlechter Synchronisationen. Womit "Du hast es versprochen" ungewollt verweist auf die Horrorthriller-Genrevorbilder aus dem Ausland, das, was ab und zu im Montagskino läuft, wenn das ZDF etwas billig eingekauft hat.
Ebenfalls mit in der Assoziation: Seifenopern. Ist es gewollt, dass eine der beiden Hauptfiguren Clarissa mit Vornamen heißt, und dass darauf ein Adels-von folgt? Die Spielweise ist jedenfalls angelehnt ans Vorabendprogramm, unsubtil und geradeheraus.
Zudem hat man überhaupt nicht geachtet auf eine Ähnlichkeit der Darsteller der Kinder- und Erwachsenenfiguren - Mina Tander, die die Hauptrolle spielt, hat in ihrer Kindheit kein Muttermal... (Da hat Leone bei De Niro besser aufgepasst.)
Das sind dann die Momente, wo man noch mehr staunen muss über Alex Schmidt. Weil sie die Gratwanderung geht zwischen Grauen und Lächerlichkeit. Und ich muss staunen über mich: Weil ich trotz des Klischeequatsches, den der Film bietet, mich der Atmosphäre - zumindest zu großen Teilen des Films - hingebe. Ich Weichei!
Staunen muss ich auch beim Blick ins Internet. Der Film hatte einen Kinostart, im Dezember 2012. Der ist wahrscheinlich nicht nur an mir vorübergegangen... Wer etwas davon mitbekommen hat, und nachweisen kann, dass er anno dazumals den Film tatsächlich im Kino gesehen hat, bekommt als Preis einen frischen Fisch zugeschickt!
Harald Mühlbeyer
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