Der Jumpcut ist das fashionable Mittel der Wahl aller Lars von Trier-Epigonen, die ihrer artsy-fartsy-Filmkunst eine Monstranz voraustragen: Was Godard recht ist, ist mir nur billig.
Der Jumpcut kann auch die letzte Rettung im Schneideraum sein für einen Film, bei dessen Dreh dem Regisseur und den Darstellern jedes Gefühl für Timing verloren gegangen ist.
Der Jumpcut muss aber nicht per se darauf hindeuten, dass einer sein Filmemachen mit ostentativer Wildheit verwechselt; oder dass beim Dreh die gleichgültige Haltung des "We'll fix it later" herrschte. Der Jumpcut kann auch sehr bewusst, sehr gezielt eingesetzt werden - und damit meine ich, er wird in Kauf genommen, statt absichtsvoll erzeugt, und er soll rhythmisierend Brüchigkeit erzeugen, statt in stillosen Notoperationen wilde Narben ins filmische Gewebe zu fetzen.
Nico Sommer hat in "Silvi", seinem Langfilmdebüt, eine sehr genaue und richtige Vorstellung davon,
was ein Jumpcut leisten kann, soll und will, und was nicht. Bei Sommer ist er ein Bote von der Gemachtheit des Films, von seiner Machart, vom Willen, diesen, genau diesen Film zu drehen, von der Arbeit mit den Schauspielern, die ihre Rollen improvisierend drehen durften in langen Einstellungen. Große Freiheit steht hinter diesen Jumpcuts, eine Freiheit, die auf die richtige Weise genutzt wird, die selbstbeschränkt wird: Denn "Silvi" erzählt eine wahre Geschichte, mit Dialogen, die so (oder so ähnlich zumindest, im paraphrasierenden Sinn) in Wirklichkeit stattgefunden haben, mit Handlungen, die so geschehen sind. Doch innerhalb des Rahmens - da kann alles passieren, da ist Genauigkeit möglich, die auch die Leerstellen des Jumpcuts beinhalten, da kann ausufernd nach dem richtigen, nach dem echten Ausdruck gesucht werden, um dann im Jumpcut die die lebendig-filmische Dichtheit zu erzeugen, die ein Film braucht.
Nico Sommer hat seinen Film selbst finanziert, hat Freunde investieren lassen und die Freunde dieser Freunde. Sommer wusste, dass diese Geschichte erzählt werden muss, die Geschichte einer 47jährigen (Lina Wendel), die Knall auf Fall, während einer Autofahrt, vom Ehemann (Thorsten Merten) verlassen wird. Mit der Bierflasche in der Hand schlendert er davon und entlässt Silvi in ein schwarzes Loch. Oder besser gesagt: Lässt sie das schwarze Loch erkennen und ausloten, in dem sie jahrelang gefangen war. Interviews mit der fiktiven Silvi, die vor einer Rauhfasertapete sitzt und über sich erzählt, durchziehen den Film, Lina Wendel fühlt sich ganz ein in ihre Figur und erzählt aus der Fiktionalität heraus in die Realität des Zuschauers: Es muss eine ganz normale Ehe gewesen sein, die in Routine und Langeweile erstarrt ist, mit einem Mann, der so gar nichts mehr tat. Beine hoch, Bier runter, mehr war nicht - man hat da ein sehr genaues Bild. Und Silvi weiß: Da muss mehr sein. Sie sucht, sie will die Sehnsucht spüren, sie will das Kribbeln fühlen.
Silvi trifft Männer. Und das sind ganz und gar nicht die Typen, die wie ihr Mann einen darstellte. Der erste ist charmant, im Hotelzimmer ist auch alles einvernehmlich. Dann steht er auf, muss zur Arbeit, überhaupt: eine Beziehung will er nicht, hat ja seine Alte. Und jetzt bitte kein Genörgel, ist ja, als wäre man schon jahrelang verheiratet! Das ist noch einer der harmlosen Sorte.
Der zweite: Sehr nett, sehr zuvorkommend. Mit klaren Vorstellungen, wie welche Phantasie auszuleben sei. Das erste Treffen: Ein Blind Date im wahren Sinn, mit verbundenen Augen werden Gesichter, Körper abgetastet - das ist Nähe, das ist Sehnsucht; das trifft auf Silvis Wunsch. Danach: Lack-Leder-Fetisch-SM; auch das macht Silvi mit, es ist ein Abenteuer, nie hat sie so etwas gekannt. Nein: Ausgenutzt wird sie nicht. Ein bisschen Koksen ist auch OK, das Kribbeln, das Silvi sucht, steckt immerhin in der Nase drin. Der Vertrag, den er vorschlägt, hats aber in sich: Sie darf nicht ausgehen ohne seine Erlaubnis; und ab und zu ein Dreier wäre wohl auch OK?
Der Dritte ist schüchtern, kleinlaut, unbeholfen, aber voll von Glück: Silvi ist seine Frau. Er richtet sofort sein Leben nach ihr aus, feuert aus dem Nichts Komplimente ab, gibt sich ganz hin. Vereinnahmt sie emotional, will sofort die totale, radikale Bindung. Und im Übrigen: Könnte sie jetzt nicht vielleicht Brötchen holen und ihn solange in der Speisekammer einsperren, oder vielleicht im Wandschrank? Du bist meine Königin, ich bin dein Diener...
Peter Trabner spielt diesen letzten Typen, diesen Maso-Weichling mit äußerst präzisen Vorstellungen, was er will. Trabner: Das ist der Stammschauspieler von Axel Ranisch, den Bernd Zywietz zusammen mit ein paar anderen einer neuen Berliner Filmschule porträtiert hat in ANSICHTSSACHE: junge Regisseure, die Filmen, die schnell und präzise, sehr frei und sehr engagiert ihre Geschichten erzählen, die die Kamera tatsächlich als Bleistift benutzen im nouvellevagueschen Sinn, mit dem rasch skizziert werden kann - und nicht per Textverarbeitung inkl. Rechtschreibprüfung und Thesaurus filmische Großwerke schaffen. Axel Ranisch hat auch einen Dankeschön-Credit in "Silvi" bekommen - denn Nico Sommer ist ganz bestimmt ein Teil dieser jungen, frischen Generation von Filmemachern.
Filmemacher, die schwere Themen, die ansonsten Anlass zu rührselig-larmoyant-tranfuseligen Erstlingsdramen wären, werden mit sichtlichem Spaß und ausgeprägtem Witz erzählt. Nein: "Silvi" hat nichts mit den Zuschauer überstülpender Betroffenheit zu tun. "Silvi" ist komisch, hat Humor; enthält Herzenswärme, Ironie und Wahrhaftigkeit. Ein Dreiklang, der den Film zu etwas wirklich Befreiendem macht.
Harald Mühlbeyer
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