Lustigerweise beginnt Jakob Lass seinen Film "Love Steaks" so, wie Brigitte Bertele "Grenzgang" anfangen ließ: Mit einem pinkelnden Mann. Bei Bertele: Jens Eidinger, der aus Frust über Studium, Professor und Freundin ein Goethe/Schiller-Plakat anpisst. Bei Lass richtet steht Clemens (Franz Rogowski) als Silhouette an einer Strandklippe, zunächst zusammengeklappt wie ein Taschenmesser, eher einem Felsen gleich, dann richtet er sich auf zum Wasserlassen und wandert mit seinem Rucksack auf dem Rücken in ein Hotel. Dort beginnt er seine Arbeit als Masseur im Wellnessbereich; doch das Mythische der ersten Bilder ist da schon gewichen zugunsten eines dokumentarischen Anstrichs - denn Lass hat mit seinen paar Darstellern und seinem kleinen Team tatsächlich in diesem Hotel an der Ostsee gedreht, während des laufenden Betriebs, mit den Hotelangestellten, die sich als Nebenfiguren selbst spielen.
Clemens nächtigt im Putzraum, wo Hausmädchen und Zimmerkellner jederzeit Zutritt haben; lernt die Techniken des Energiewegschaufelns kennen, die richtigen Duftessenzen für seine Kundinnen, wie man sich das Handtuch vors Gesicht hält, um sie diskret sich entkleiden zu lassen. Und allmählich lernt er auch Lara (Lana Cooper) kennen.
Die arbeitet als Azubi in der Küche, ist ins ruppige, neckende, eingespielte Team integriert, macht jeden Spaß der Kollegen mit, trinkt auch mal hier ein Schlückchen und da noch eins. Und bemerkt ebenfalls Clemens, der so ganz anders ist. Sie burschikos, draufgängerisch, energetisch; er sanft, aufrichtig, schüchtern, naiv.
Sie geht auf ihn zu. Sie nimmt ihn sich. Macht sie sich einfach über ihn lustig, den tollpatschigen Typen aus der Wellness, nuschelnd mit seiner Hasenscharte? Du strahlst den puren Sex aus, sagt sie, das ist ironisch gemeint, wie sowieso alles bei ihr ironisch ist, so ironisch, dass es ihr schon wieder ernst ist.
Jakob Lass schafft es, aus seinen dutzenden Stunden Filmmaterial genau diese eine Geschichte herauszuschälen, diese Story, diese Charaktere. In kleinen, subtilen Gesten und Momenten und in großen Aktionen, in raumgreifenden Späßen trifft er den Nerv seines Films: eine amour fou, mit dem, der straightforward und direkt ist und der, die alles als Spiel begreift, als uneigentlichen Unernst. Die den Polizisten ins Gesicht lacht, wenn sie sie wegen Trunkenheit am Steuer verhaften, die Clemens zur Verarsche des Hotelmanagers anstachelt, die anarchische Zerstörungsenergie in sich trägt.
Clemens, der Sanftmütige, will sie heilen, geht mit ihr eine Wette ein: Sie lässt den Alkohol. Er lässt die Angst. Tatsächlich öffnet er sich nach außen - doch ihre Überdrehtheit lässt sich kaum bändigen. Denn es geht um Energie, um das Umlenken von Energie, was Clemens ayurvedisch mit seinen Händen überm Bauch der Massagekundinnen vollbringt, was bei Lara nicht funktioniert. Meditation, Entspannung, zur Ruhe kommen ist nicht drin; und Lass führt diese Konstellation der zwei Extreme nicht nur zu glänzend komischen Momenten, sondern auch zu einem melodramatischen Finale, in dem Lügen und Missverständnisse, unendliche, aber fehlgeleitete Aufopferung und das spöttische Spiel sich auftürmen bis zum blutigen Kampf am Strand. Und zum blutigen Kuss, der sie endgültig aneinander bindet.
"Love Steaks" - das ist ein, ich sage es frei heraus, recht doofer Filmtitel. "Ein Luxushotel. Steaks werden gebrutzelt, Speckröllchen massiert.
Clemens (zart) kommt als Frischling in den Wellnessbereich. Lara (gut
durch) muss sich im Küchenrudel behaupten." - so lautet die offizielle Auflösung der Metapher, der Film käme gut ohne sie aus.
"Love Steaks" - konkret bezieht sich das auf eine der ersten Liebesszenen des Films, in der Küche, eine unvergessliche Annäherung über Bande der beiden. Lara, aufgedreht wie eh und je, interessiert sich für Penisse, hat Clemens einen Blut- oder einen Fleischschwanz? Sie will auch wissen, wie das mit dem Blasen ist, alles im kindlich-spielerischen Modus, steckt sich den Finger aus der Hose, Clemens auf den Knien - das erinnert an Friedkins "Killer Joe", letztes Jahr auf dem Münchner Filmfest. Dann nimmt sie Clemens nackt in die Kühlkammer, packt ihn mit vakuumverpacktem Steak ein; denn sie will wissen, wie das ist mit dem Schwanz und der Kälte. Ein Liebesakt ist das, wie er selten zu sehen ist; verdreht, aus dem Spiel heraus konsequent, auf extrovertierte Weise schüchtern, sehr fleischlich, erotisch, aber gar nicht sexuell. Und Beweis für Jakob Lass' Einfallsreichtum, wenn es um seine Charaktere geht, um das Formen einer Geschichte um sie herum
Harald Mühlbeyer
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen