„Unser David Bowie heißt Heinz Schenk“. Schön wär’s – und Gott
hab‘ ihn selig, den Vollblut-Entertainer, dem, gerade 89-jährig verstorben,
nicht nur für über 20 Jahre ZUM BLAUEN BOCK, in dem er quasi alles selber
machte, höchsten Respekt verdient, sondern auch u.a. für die bissige
Selbstparodie als unsympathischer Showmaster in Hape Kerkelings TV-Business-Satire-KEIN
PARDON (1993). Heinz Schenk mag allerdings mehr als bloß fernsehhistorisch ein Mark-
und Meilensteinstein sein (so wie wir alle im Grunde unseres Herzens Hessen),
doch wir schreiben das Jahr 2014 und nicht 1984, das Jahr, in dem die Rotgau Monotones (Gesang und Saxophon zu
der Zeit: „Henni“ Nachtsheim, zusammen mit Gert Knebel das Comedy-Duo
„Badesalz“) ihre regional-spezifische Erfolgssingle „Die Hesse komme!“ auf den
Markt brachten. Ein Jahr auch, in dem Edgar Reitz' HEIMAT lief, ein Jahr,
bevor die TV-Version von W. Petersens DAS BOOT zu sehen war; danach, 1986, hatte
das bundesrepublikanische Fernsehen so etwas wie KIR ROYALE im Programm... Ja,
sicher, olle Kamellen, die gute alte, mithin ganz andere Zeit... Richtig! Und
heute?
Heute, und von der anderen Rheinseite her (wo Heinz Schenk
1924 geboren wurde!), schallt es vom Mainzer Lerchenberg: Unser Walter White
heißt Bastian Pastewka. Das ist freilich weniger ulkig als der selbst- und
regionalbewusste Schenk-Bowie-Vergleich. Denn, sicher, Komiker Bastian Pastewka
wird nicht Walter White benamt, sondern nur eine derartige Figur spielen. Eine
Figur wie jenen Anti-Helden (verkörpert von Bryan Cranston) in der US-Serie
BREAKING BAD. Eine Figur, mit der es jetzt auch das ZDF versucht, sich
innovativ und jung, zumindest jugendorientiert zu geben, aufgeschlossen für die
Welt und ihre aktuell taktgebenden Serien-Fiktionen. Die Verjüngungskur, auf
dem Rücken von Walter White oder in seinem Windschatten, sozusagen.
Zur Erinnerung: BREAKING BAD ist jene Serie, in der ein
Chemielehrer, braver Vater und vor allem: Durchschnitts-Niemand aufgrund oder
in Folge seiner Lungenkrebsdiagnose zwecks Absicherung der eigenen Untermittelschichtsfamilie
auf die schiefe Bahn gerät, zusammen mit einem ehemaligen Schüler ein zunächst
amateurhaftes, dann immer imperialeres „Meth“-(= wirklich hundsgemeine
Drogen!-)Geschäft aufbaut, an kuriose Q. Tarantino / R. Rodriquez-Gegner gerät,
seinen Polizisten-Schwager, der auf der Jagd nach Whites kriminellem Alter Ego ist,
austricksen muss und zu viel Geld kommt, dabei irgendwie und zugleich in
eindringlicher Logik und Folgerichtigkeit alles verliert, zerstört, seine Familie
und nicht zuletzt sich selbst. BREAKING BAD ist in seiner Finesse, seiner
Bosheit, Traurigkeit, Ironie und stilistischen Sicherheit nicht nur ein
Paradebeispiel für das nicht mehr so neue „Qualitäts“- (R.J. Thompson) oder „Komplexitätsfernsehen“
(Jason Mittell), sondern auch in seiner Güte und Konsequenz wohl so
hervorragend im kommerziell-künstlerischen Erzählen, dass wir es nicht umhin
kommen werden, es in Zukunft mit anderen populären Größen und
Großereignissen des Mediums zu nennen. Und sei es nur als Kreuzpunkt
zwischen „schlichtem“ Kult und intellektuellem (Meta-)Format. Dabei eines, das
sich selbst erfreulich wenig wichtig nimmt, weniger etwa als deutsche
Großprojekte vergangener Epochen: eben: DAS BOOT, Reitz HEIMAT, aber auch
Fassbinders BERLIN ALEXANDERPLATZ („Vorne ist es dunkel, und hinten liest der
Fassbinder aus dem Roman.“ – D. Hildebrandt, auch so einer, der jetzt fehlt). Von
den jüngsten Event-Movies des ZDF, inklusive dem relativ geglückten UNSERE
VÄTER, UNSERE MÜTTER, ganz zu schweigen.
Aber das ZDF, genauer: diejenige, die dafür stehen, schauen eben
auch etwas anderes als den Fernsehgarten, kümmern sich tatsächlich. Und so
bekommen auch sie mit, was anderswo läuft und vor allem: ankommt. BREAKING BAD,
so schwärmte vor eins, zwei Jahren ein hochrangiger Fernsehmacher und
-verantwortlicher im persönlichen Gespräch: das wäre großartig! Der ambivalente
Charakter, die Mischung aus Fatalismus und Humor, Krimi und Komödie... Um dann
nach dem Schwärmen aber auf den Boden der Lerchenberger Realität zurückzukommen,
getreu dem Motto, das allzu leicht zur Goldenen Regel verkommt. „Sowas können
wir hier (leider) nicht machen“. Wobei „hier“ eben nicht nur das ZDF meinte,
sondern generell: Deutschland.
Doch neue Zeiten kündig(t)en sich an, hier und da, manchmal,
sogar, wenn man sie braucht. Es wurde der relativ junge Dr. Norbert Himmler
(Jahrgang 1971; Zuschaueraltersdurchschnitt des ZDF: knapp über 60) im Jahr
2012 Programmdirektor auf dem Lerchenberg. In ANSICHTSSACHE freute uns das, denn Himmler versprach
neuen Wind im bräsigen Programm, schmiss auch alte Serienkadaver über Bord
(oder gewährte die Neugeburt wie im Fall von EIN FALL FÜR ZWEI). Jetzt aber,
ein Jahr später nach dem Erscheinen unseres Buches, führte Himmler ein
Interview mit der F.A.Z., dessen Neuigkeiten auch ONLINE HIER zu lesen stehen.
B. Pastewka (Foto: Wikipedia) |
Hier ein Ex-Chemielehrer und „Meth“-Drogenkoch – dort ein
Graphiker und Falschmünzer.
Krebs hier – Arbeitslosigkeit da.
Bryan Cranston – Bastian Pastewka.
New Mexico – Taunus.
BREAKING BAD – MORGEN HÖR‘ ICH AUF.
***
Sicher, es ist ein vorschnelle Beurteilung, noch (oder doch)
ist das Projekt Produkt der Primetime. Freilich lässt allein schon die
verkündete Konzeption nicht nur argwöhnen: Selten hat die Welt das Elend einer typischen
BRD-TV-Fehlkalkulation, aber auch grundlegender Mentalitätsunterschiede so offen
vor Augen geführt bekommen wie in dieser hanebüchenen Mehrfach(un)gleichung.
Richtig?
Aber: Mentalitätsunterschiede sind nicht automatisch -defizite,
und wer hier schnell und einmal mehr allzu selbstverständlich den Kopf
schüttelt(e), sollte es vielleicht mal so herum sehen, und sei es nur, weil das
Schelten der Öffentlich-Rechtlichen einmal mehr Konjunktur hat:
Klar, der Taunus ist – weiß Gott? Gottlob? – nicht
Neumexiko, und „BREAKING BAD“ kann man in Comic Sans auf Pavianpopos mit
Fingerfarben malen, es würde nicht halb so komisch daherkommen, zumindest sich
ankündigen wie MORGEN HÖR‘ ICH AUF (ein verpiefter Titel, der auf in Comic Sans
fingerfarbengemalt auf Pavianpopos recht besehen eher noch gewönne). Doch auch
Bryan Cranston etwa hat man nach seiner fulminanten Kasper-Rolle (bzw. dem
entsprechenden Spiel und Charakter) in MALCOM IN THE MIDDLE das ernste Sujet samt
der Abgründigkeit eines Walter White nicht zugetraut, so wie man es nun hinsichtlich
Bastian Pastewka tun mag - der das Zeug, warum auch nicht, haben mag. Im Netz freilich macht man sich jetzt schon einen gehässigen Spaß, möglichst alberne Pastewka-Comedy-Bilder neben die von Cranston zu stellen, um das Vorabscheitern des ZDF-Projekts sinnfällig zu machen (etwa HIER oder HIER oder HIER). Was nun mal leider mehr über unsere Haltung gegenüber "unserem" Fernsehen ausdrückt als dessen verstiegene Pläne. Und das uns (hier:) das ZDF derart bereitwillig am eigenen Vorurteilsbild mit breitem Pinsel mitmalt.
Anders und kurz gesagt: MORGEN HÖR‘ ICH AUF als eines der
angekündigten „Events“ hat womöglich das Zeug, eine klasse Fernsehproduktion zu
werden. Das Problem ist aber eben, dass das ZDF selbst und von sich aus den
Vergleich zu BREAKING BAD sucht und aufmacht. Was nur zwangsläufig Enttäuschung,
wenn nicht gar Spott und Hohn zur Folge hat bei jenen, die diesen Vergleich dann
ernst nehmen. Das grundlegende Problem, welches das ZDF wie überhaupt die
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit den von ihnen initiierten
Produktionen haben, ist nämlich eines der Bezugnahme oder der Priorität. Der
eigenen wie der der Zuschauer, die längst in ihrer Seherfahrung mit der
zugänglichen Qualität von jenseits der Landesgrenzen weiter sind als der
08/15-Zuschauer, dem „BREAKING BAD“ ohnehin nichts sagt und den es folglich nicht
lockt. Ein Fehlschuss also in Richtung jener jüngeren Generation, auf die die
Gebühren- oder Beitragsfinanzierten ein Auge geworfen haben, die man aber schon
lange aus den Augen verloren hat und die man auch und gerade mit Hase-und-Igel-(Schein-)Neuerungen
nicht mehr erreicht.
Ein paar Beispiele ähnlicher Natur: Die neue Reihe HELEN
DORN, Start am 8. März, mit Anna Loos in der Titelrolle, ist in ihrem Auftakt gelungen,
in Sachen Regie, in Sachen Buch. Doch so innovativ, wie der Sender es
verkaufte, war es nicht: eine alleinstehende Beamtin nachgerade ohne Humorbefähigung,
ein Vater, der ebenfalls Polizist ist, episodisches Erzählen, dazu dieser
gelackte ZDF-Digitallook, der der Serie von der Anmutung her den Charme der gängigen
ZDF-Sendermarkenwerbung („Mit dem Zweiten sieht man besser“) verleiht... Nein,
die fiktionalen Inhalte, auch im Krimibereich, sind nicht die gleiche
Einheitsware, doch nicht zuletzt durch diesen visuellen Stil wird man so leicht
wie eklatant zu solch einem Schluss verführt. Und humorlose Beamtinnen? Papa
daheim (oder sonst einem Elternteil) etc. ...?
Ist das Vergleichshantieren mit US-Serien, von außen, von
innen, überhaupt sinnvoll? Auch in Amerika ist nicht alles Gold, was selbst in
Kabel- und Pay-Sendern, bei HBO, ABC, Showtime etc. ausprobiert und
angeboten wird. Das System ist ein anderes, eines, das hier nicht funktioniert:
Produzenten, auf Bestellung oder nicht, schlagen vor, drehen Piloten, vieles geht
schnell wieder ein, oft, ehe es überhaupt dem Publikum vorgesetzt wird,
geschweige denn hier erreichbar wird. Es sind dann die Sahnestücken, die es
über den großen Teich schaffen (und die dann schon per legalem oder illegalem
Stream und Download, per DVD-Box beim Zielpublikum längst angekommen und
vernascht wurden, ehe sie im „richtigen“, sprich dem alten, linearprogrammierenden
Fernsehen landen). Und die restlichen, die echte Quotenknaller in den USA? Sie
sind längst schon hier und massengoutiert, im Fiction-Bereich gutbürgerliche
Krimi-Kost wie Pathologen-Hit-Ableger NCSI oder die Nerd-Sitcom THE BIG BANG THEORY.
Schön, unter den Top-25 des 2012/13-TV-Jahres findet sich auch der Zombie-Epos
THE WALKING DEAD, aber das war’s dann auch schon mit dem wirklich innovativen
Qualitätsfernsehen aus den Staaten. Denn seien wir ehrlich, Fernsehen ist eben nicht Kino, und hier wie jenseits des Atlantiks besteht
das TV-Publikum zumeist aus schwerarbeitenden Menschen, die abends weniger Denk- und
Emotionssport vor der Glotze leisten möchten, sondern sich zu Schnittchen und
Bierchen bei ALARM FÜR COBRA 11 oder DER LETZTE BULLE aus dem Feierabend dösen
wollen. (Soweit mal das eher freundliche Couch-Kartoffel-Szenario.) Bloß leben
in den USA fast 315 Millionen Menschen und in Deutschland rund 82. Ein anderes
Nischenpotenzial für die Quality-(Prime-)Time. Oder nicht?
In der Süddeutschen
Zeitung (19. März, S. 31) widmete sich unter der Überschrift „House of
Charts“ Katharina Riehl diesen Zuständen und Problemen. Auch sie erkennt:
„Serien wie Breaking
Bad, House of Cards oder Mad Men sind auch in den USA kein
Massenprogramm: Sie erreichen ein großes Publikum – gemessen zum Beispiel an
den Verkaufszahlen eines Buchs und nicht an den Quoten einer Castingshow. In
Deutschland wird aber erklärt, dass das hochgelobte Ami-Zeug hier halt nicht funktioniere.
Oder, alternativ, dass die Deutschen eben am Ende wohl doch nicht kapieren, was
richtig gutes Fernsehen ist.“
Ein weitere Satz Riehls, den man sich merken, wenn nicht gar
auf der gedanklichen Zunge zergehen lassen sollte, ist:
„Wer die großen Serien zeigt, wird nie die ganz große
Quotensause feiern, wie man es tut, wenn man Til Schweiger einen Mord aufklären
lässt oder amerikanische Forensiker und Spurensicherer bei ihrer Arbeit zeigt –
nur, und das ist das Missverständnis – davon wird eine Serie wie House of Cards nicht weniger großartig.“
Ein geiler Satz, der wunde Herzen salbt oder den flammend Grimm
auf ignorante Programmplaner heilig schürt. Weil – wir bei ANSICHTSSACHE wissen
das! – Schweiger gegen klasse U-Kunst, das geht immer, vor allem in den
Schützengräben des kulturkapitalistischen Weltkriegs USA vs. Deutschland. Klar,
Quote ist nicht Qualität, und es ist schon schade, wenn nicht eine Schande,
dass man – nein, nicht dass man dem deutschen Publikum nichts zutraut, die meisten
anderen Menschen sind halt doof, was soll man machen? Die Schande ist, dass man
sich in der Anspruchslosigkeit so behaglich eingerichtet hat und dem Publikum
nicht mit gehöriger Penetranz (oder schlicht: Ausdauer) vorzusetzen, was jedem
Einzelnen – vielleicht nicht auf den ersten Bissen, vielleicht nicht auf
zweiten, vielleicht nie! – schmecken wird. Sicher schwingt da ein Gedanke nicht
nur eines Bildungs-, sondern auch eines Erziehungsfernsehens mit, der
gegenwärtig nicht populär ist, womöglich arrogant, elitär etc. daherkommt. Na
und? Vielleicht halten wir uns öffentliche-rechtliche Sender ja manchmal nicht
nur für Content und Ware, die an den Mann zu bringen ist, sondern auch für
Statements. Daher ist es schön, wenn viele der tollen Qualitätsprodukte zwar
irgendwo bei ZDFneo oder Arte laufen, aber da entfalten sie keine Signal- und
positive Penetranzwirkung wie im Primetime-Hauptprogramm.
Aber natürlich ist man nicht mehr so mutig (oder lehrerhaft)
wie dazumal, als das Publikum noch keine Privatfinanzierten hatte, zu denen
es ausweichen können, um von „dort“ aus noch gerechter auf ARD, ZDF & Co.
zu schimpfen („Was zahl ich da, die kuck‘ ich nicht!“) oder, noch schlimmer,
ganz woanders hin, ins Internet – und wie’s da zugeht, holla, das wissen wir
alle!
Bedenklich ist daher, wenn Riehl in ihrem SZ-Artikel Marco
de Ruitter zitiert bzw. für ihre Argumentation ins Feld führt, der als Chef von
Fox International Channels mit Zuschauerzahlen zufrieden ist, die hierzulande,
bei den Privaten wie Öffentlich-Rechtlichen, als Flop gelten. Verglichen wird
hier nämlich zweierlei TV, und das ist vielleicht die zentrale Crux dieses
ganzen Diskursfeldes: dass wir nicht mehr das eine Fernsehen haben und kennen,
sei es, was die Inhalte anbelangt, sei es, was die Nutzung betrifft. Das Voll-
und Rentnerprogramm verweist für Innovations- oder Ausnahmeformate wie das
gerade Grimme-bepreiste satirische NEO MAGAZIN von und mit Jan Böhmermann auf
die senderhausinterne Nische ZDFneo, die Feuilletons und gehobene
Zuschauerschaft (warum freilich auch immer) wünscht sich mit derlei Gewagtem im
Hauptprogramm vertreten, angesprochen und abgeholt. Dort würden sie vielleicht
Böhmermann schauen, aber auch BREAKING BAD, wenn die DVD-Box schon im Schrank
steht oder im Netflix-Speicher wartet, vor allem: da schon gesehen wurde,
original mit Untertitel; warum warten auf die Synchro?
Vielleicht kriegt ja jedes Land den Walter White, den es verdient?
Vielleicht kriegt ja jedes Land den Walter White, den es verdient?
(Übrigens: ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis wurde auch die
von uns in ANSICHTSSACHE zu Wort kommende Brigitte M. Bertele bzw. ihr Film
GRENZGANG, der in der ARD mehr Kino lieferte als mancher hiesiger Kinofilm, der
eigentlich nur ins TV will und soll. Aber das: ein anderes Thema.)
Im nächsten Teil:
Woher welche Serienvorbilder für Deutschland?
(zyw)
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