Dienstag, 26. Februar 2013

The Goebbels Experience #3: Die dritte von sieben Filmthesen: „Aber auch weg vom Ästhetizismus“



Seine zweite These, dass sich nämlich der Film freimachen soll „von der vulgären Plattheit des bloßen Massenamüsements“, schränkt der Herr Goebbels in seiner dritten gleich wieder ein: „Das“ – also die Forderung des zweiten goebbelschen Hauptsatzes – „soll nicht heißen, daß der Film die Aufgabe habe, einem blassen Ästhetizismus zu dienen. Im Gegenteil:“ – wir sind gespannt --- „gerade auf Grund seiner unerhörten umfassenden Reichweite muß er, mehr noch als alle anderen Kunstarten, Volkskunst im besten Sinne des Wortes sein. Volkskunst aber hat die Freuden und Leiden, die das Volk bewegen, künstlerisch zur Darstellung zu bringen.“ Ergo: Volle Connection mit den Zuschauern, ohne plattes Massenamüsement zu bieten. Wie kriegt man dies nun hin? „Der Film darf also nicht vor der Härte des Tages entweichen und sich in einem Traumland verlieren, das nur in den Gehirnen wirklichkeitsfremder Regisseure und Manuskriptschreiber, sonst aber nirgendwo in der Welt liegt.“

Goebbels: Gegen Amüsement und wider Ästhetizismus
Wo er recht hat, hat er recht; mit purem „Komm mit ins Abenteuerland“ darf Film nicht locken, mit Populismus freilich auch nicht – aber sieht man sich die UFA-Ästhetik an, die zu großem Teil der Herr Propagandaminister zu verantworten hat, muss man sagen: Er selbst hat versagt. Wo sonst in der deutschen Filmgeschichte bekam man soviel Wirklichkeitsferne geboten, in der jedes Hakenkreuzzeichen, die ja die Welt der 30er und 40er durchdrangen, ausgeklammert wurde? Der stinknormale Film der Goebbels-Ära zeigte eine Traumwelt der Tanzsalons, in denen man niemals bezahlen muss, in der noch ein paar meist holpernde nationalsozialistische Ideologieschienen verlegt waren – von den Freuden und Leiden, die das Volk bewegten, von der Härte des Tages keine Spur. Natürlich nicht: Das wäre ja auch nun gar nicht mehr kompatibel gewesen mit dem These-2-Postulat, den Geschmack des Publikums zu erziehen. Tatsache jedenfalls: Wirklichkeitsfremde Regisseure und Manuskriptschreiber – genau das war es, was Goebbels realiter heranzog. Und genau an dieser Ästhetik krankte der deutsche Film durchgehend bis in die 1960er; und dann immer wieder sporadisch aufflammend bis heute.

Oder, wie es Georg Seeßlen ausdrückt: „Nicht anders als der UFA-Film immer auch Propaganda für die ‚moderne’ Familie war, nämlich eine Kleinfamilie mit Anschluss an Staat und Karriere, so war auch die neue deutsche Beziehungskomödie der achtziger Jahre (bald spottete man über gutaussehende Zahnärzte in roten Sportwagen und Sekretärinnen, die, statt den Boss zu heiraten, seine Firma übernahmen) Propaganda- und Wunscherfüllungsmaschine für Menschen, die neue soziale Zielvorstellungen entwickelten, dafür aber, anders als die ‚rebellische Jugend’ der 68er Jahre, nicht wirklich mit den Standards des gesellschaftlichen Mainstream zu brechen bereit waren.“ Sprich: „Lust, Liebe, sozialer Aufstieg in neue Balance gebracht, Hippie-Flausen komisch abgehakt, Rückzug ins Private, Liberalität im Quotenschwulen demonstriert, Aufstiegsstress und Lebenslust gegeneinander ausgespielt und zur Versöhnung gebracht wie in einem der größten Erfolge des deutschen Nachkriegskinos, Doris Dörries MÄNNER (1985)“.

In seinem prägnanten Abriss der deutschen Filmgeschichte, bezogen auf die komödiantische Seite des Filmemachens, zeigt Seeßlen sehr deutlich die Folgen und Nachwirkungen des Dritte-Reich-Kinos:

„Am Ende der dreißiger Jahre waren alle kleinen Freiheitsträume der deutschen Filmkomödie hinter der Maske eines neuen Biedermeier verschwunden, hinter der, wenn man nur genau hinsieht, der reale Faschismus durchschimmert, den man sich vor der ‚harmlosen’ UFA-Komödie durch eine halbe Stunde heroisierender Wochenschauen und ideologietriefender ‚Kulturfilme’ in gröberen Portionen einverleibt hatte. Die furchtbare Übermalung von Faschismus und Krieg machte das Genre schuldig, auch in seiner betonten Unschuldigkeit. […] Kontinuität dann auch in der Nachkriegszeit; Heimatschwänke, ‚Schlagerlustspiele’ und Verwechslungskomödien begleiteten den Wiederaufstieg des Kleinbürgertums zwischen Restauration und Modernisierung. Filmkritisch einigermaßen übel beleumundete Filmformen, die unfassbarerweise in den siebziger Jahren noch einmal eine Degenerationsphase durchlebten – aber noch viel unfassbarer, dass sie noch einmal dreißig Jahre später im anderen Medium, dem Fernsehen, nach ihren alten, kaum ikonographisch modernisierten Formeln wieder aufscheinen.“ Nachzulesen in, ich wage es kaum zu sagen, ANSICHTSSACHE, aber das nur nebenbei.

Was Seeßlen über die Komödie schreibt, kann man so ähnlich auf alle Formen des unterhaltenden Kinos ummünzen: Nach dem Systemzusammenbruch 1945 gab es eben keinen Zusammenbruch der Filmästhetik, nicht einmal ein Rückbesinnen auf die Möglichkeiten, die das deutsche Kino vor 1933 hatte und die immens waren. Stattdessen wurden Rückkehrer von Erich Pommer bis Peter Lorre gedisst, ansonsten wurde weitergemacht wie bisher, nur unter hypermoralischem statt hitlergoebbelsistischem Anspruch. Volkskunst also im schlechtesten Sinn des Wortes, die der Härte des Tages entwich und sich im Traumland verlor – und das nur, weil der Herr Goebbels sich nicht an das hielt, was er im Jahr 1935 für richtig hielt.

Wie aber sieht es heute aus? Heute, da das Kino der 30er, 40er, 50er durch den Neuen Deutschen Film dann doch noch umgekrempelt wurde, weil Papas und Opas Kino eben doch noch als Käse erkannt wurde (wobei Patina und Ideologiebelag mitunter mit Edelschimmel verwechselt wurde und das Gute (Beispiel: Käutner) gleich mit in den Abfall wanderte)?

Nun jedenfalls sitzen wir zwischen ein paar Stühlen. Zwischen den Großproduktionen fürs „Massenamüsement“ und dem „blassen Ästhetizismus“, zugespitzt formuliert: zwischen Schweiger und Berliner Schule. Dazwischen: All die Filmhochschüler, die es besser machen wollen, und die dies auch manchmal schaffen. Zu besichtigen: Vornehmlich auf Filmfestivals; denn ins Kino kommen ihre Filme zwar, Zuschauer aber erreichen sie dort nicht. Weil sie nur wegen Förderrichtlinien mit ein paar Kopien, ohne Marketing, auf die Leinwände springen; weil sie oftmals ganz im Persönlichen feststecken – feststellbar mitunter an den Filmtiteln, von denen Harald Mühlbeyer (in, natürlich, ANSICHTSACHE, in einer Art Reportage über die Tour de Filmfestival) einige aufzählt, um dann festzustellen:
„[D]erart poetische, beinahe aphoristische, irgendwie nichtssagende Titel [sind] – man muss annehmen: bewusst – so gewählt, dass sie ein bestimmtes Publikum nicht ansprechen mögen. Die Laufkundschaft des normalen Kinos – auch der Programmkinos – verfällt kaum auf einen Film, dessen Titel Prägnanz, Linie, Klarheit vermissen lässt, der in der Namensgebung darauf verzichtet, Handlung, Thema oder Ausdruck anzudeuten […].“
Und weiter: „Der Filmtitel verrät: Dies sind ausgesprochene Festivalfilme, die vor allem dort ihre Zuschauer finden, wo diese aus der weiten Umgebung zusammenlaufen mit dem Ziel, neue, unbekannte, sonst nirgends zu sehende Filme zu betrachten. Und womöglich zu genießen. Sicher haben es deutsche Filme auf dem freien Filmmarkt schwer, zumal, wenn es sich um Debütfilme handelt oder um solche, die in kleinem Produktionsrahmen persönliche, sperrige Geschichten erzählen und nicht von aufmerksamkeitsheischender Starbesetzung oder Werberummel profitieren können. Festivals bieten eine Plattform für derartige kleingehaltene, hochschwellige Produktionen. Doch auch mit dem ‚Heimvorteil’ des Filmfestivalbetriebes und seines filmkunstwilligen Publikums kann ein interessanter Titel nicht schaden, um Zuschauer anzuziehen oder einfach seinem eigenen Film etwas Gutes zu tun.“

Notwendig – und hatte das nicht auch Goebbels in all seiner Unschuld gemeint? – ist ein Mittelfeld, das bespielt wird – das nicht zu verwechseln ist mit Mittelmaß. Ein Mittelfeld, das kaum zu finden ist, nicht auf Festivals, nicht im Kino – produziert werden vornehmlich Blockbuster mit garantiert hohen Zuschauerzahlen und kleingehaltene Miniproduktionen. Diese Einteilung sagt ganz und gar nichts über die Qualität der Filme aus – sondern über die Verteilung von Geld und Aufmerksamkeit und darüber, dass diese abgekoppelt ist von der Güte des Films.
Gibt es eine Lösung? Kaum im gegenwärtigen System, in dem Produzenten angewiesen sind auf Förderung von Staat und Fernsehen, sich dabei an gewisse Vorgaben halten, dafür kaum selbst Eigenkapital aufwenden müssen. In einem System, in dem es viel zu viele Filmhochschulabgänger gibt, die alle gleich ins Kino drängen müssen, aber kaum Zeit haben, eine gewisse handwerkliche Routine, eine Gelassenheit, eine Persönlichkeit des Erzählens zu entwickeln. In einem System, in dem der Zuschauer grundsätzlich Vorbehalte hat gegen Filme made in Germany – sicherlich nicht unschuldig daran die Filmgeschichte zwischen UFA und NDF. In einem System, das sich weder die goebbelssche Forderungen wider Massenamüsement und wider Ästhetizismus zu eigen gemacht hat, noch die Analyse von der anderen Seite des politischen Spektrums, nämlich die von Günter Peter Straschek in seinem sozialismusagitatorischen HANDBUCH WIDER DAS KINO von Anfang der 1970er Jahre:

„Mit Schwärmertum, psychischen Wehwehchen und einer mißdeuteten Anti-Leistungsideologie allein ist wenig zu erreichen. Und weil, ausgenommen die Schlager/Plattenindustrie, das Theater und die Werbung, in keiner anderen Branche sich so viele Dummköpfe und mittelmäßige intellektuelle Hochstapler tummeln wie beim Film, ist die Gefahr des ‚Fachidioten’ auch geringer denn die des voluntaristischen Politfilmdilettanten“,

Womit er wenigstens ein bisschen Handwerklichkeit fordert in der linken Filmarbeit. Und weiter, gegen die Katheder des Kunstkinos an den Filmhochschulen:

„Immer stärker ist die DFFB zu einer Versorgungsstätte für kaum talentierte und krisenbesetzte, sich ‚bewußtwerdende’ Schriftsteller, Maler, Buchhändler, Schauspielerinnen, Journalisten etc. geworden oder für Mädchen, bei denen es früher gerade noch für eine Keramikausbildung in Worpswede gereicht hätte (bzw. wer nicht an die PH kam, ging eben zur DFFB).“

Womit er einerseits seine süffisante Misogynie ausleben konnte, andererseits aber auch einen Punkt trifft, der auch heute noch gilt: Dass der Wille vielleicht oft stärker ist als das Können, sowohl das handwerkliche wie das schöpferische.

Harald Mühlbeyer

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