Seine zweite These, dass sich nämlich der Film freimachen
soll „von der vulgären Plattheit des bloßen Massenamüsements“, schränkt der
Herr Goebbels in seiner dritten gleich wieder ein: „Das“ – also die Forderung
des zweiten goebbelschen Hauptsatzes – „soll nicht heißen, daß der Film die
Aufgabe habe, einem blassen Ästhetizismus zu dienen. Im Gegenteil:“ – wir sind
gespannt --- „gerade auf Grund seiner unerhörten umfassenden Reichweite muß er,
mehr noch als alle anderen Kunstarten, Volkskunst im besten Sinne des
Wortes sein. Volkskunst aber hat die Freuden und Leiden, die das Volk bewegen,
künstlerisch zur Darstellung zu bringen.“ Ergo: Volle Connection mit den
Zuschauern, ohne plattes Massenamüsement zu bieten. Wie kriegt man dies nun
hin? „Der Film darf also nicht vor der Härte des Tages entweichen und sich in
einem Traumland verlieren, das nur in den Gehirnen wirklichkeitsfremder
Regisseure und Manuskriptschreiber, sonst aber nirgendwo in der Welt liegt.“
Goebbels: Gegen Amüsement und wider Ästhetizismus |
Wo er recht hat, hat er recht; mit purem „Komm mit ins
Abenteuerland“ darf Film nicht locken, mit Populismus freilich auch nicht – aber
sieht man sich die UFA-Ästhetik an, die zu großem Teil der Herr
Propagandaminister zu verantworten hat, muss man sagen: Er selbst hat versagt.
Wo sonst in der deutschen Filmgeschichte bekam man soviel Wirklichkeitsferne
geboten, in der jedes Hakenkreuzzeichen, die ja die Welt der 30er und 40er
durchdrangen, ausgeklammert wurde? Der stinknormale Film der Goebbels-Ära
zeigte eine Traumwelt der Tanzsalons, in denen man niemals bezahlen muss, in
der noch ein paar meist holpernde nationalsozialistische Ideologieschienen verlegt
waren – von den Freuden und Leiden, die das Volk bewegten, von der Härte des
Tages keine Spur. Natürlich nicht: Das wäre ja auch nun gar nicht mehr
kompatibel gewesen mit dem These-2-Postulat, den Geschmack des Publikums zu
erziehen. Tatsache jedenfalls: Wirklichkeitsfremde Regisseure und
Manuskriptschreiber – genau das war es, was Goebbels realiter heranzog. Und
genau an dieser Ästhetik krankte der deutsche Film durchgehend bis in die
1960er; und dann immer wieder sporadisch aufflammend bis heute.
Oder,
wie es Georg Seeßlen ausdrückt: „Nicht anders als der UFA-Film immer auch
Propaganda für die ‚moderne’ Familie war, nämlich eine Kleinfamilie mit
Anschluss an Staat und Karriere, so war auch die neue deutsche
Beziehungskomödie der achtziger Jahre (bald spottete man über gutaussehende
Zahnärzte in roten Sportwagen und Sekretärinnen, die, statt den Boss zu
heiraten, seine Firma übernahmen) Propaganda- und Wunscherfüllungsmaschine für
Menschen, die neue soziale Zielvorstellungen entwickelten, dafür aber, anders
als die ‚rebellische Jugend’ der 68er Jahre, nicht wirklich mit den Standards
des gesellschaftlichen Mainstream zu brechen bereit waren.“ Sprich: „Lust,
Liebe, sozialer Aufstieg in neue Balance gebracht, Hippie-Flausen komisch
abgehakt, Rückzug ins Private, Liberalität im Quotenschwulen demonstriert,
Aufstiegsstress und Lebenslust gegeneinander ausgespielt und zur Versöhnung
gebracht wie in einem der größten Erfolge des deutschen Nachkriegskinos, Doris
Dörries MÄNNER (1985)“.
In seinem prägnanten Abriss der deutschen Filmgeschichte,
bezogen auf die komödiantische Seite des Filmemachens, zeigt Seeßlen sehr
deutlich die Folgen und Nachwirkungen des Dritte-Reich-Kinos:
„Am Ende der dreißiger Jahre waren alle kleinen Freiheitsträume
der deutschen Filmkomödie hinter der Maske eines neuen Biedermeier
verschwunden, hinter der, wenn man nur genau hinsieht, der reale Faschismus
durchschimmert, den man sich vor der ‚harmlosen’ UFA-Komödie durch eine halbe
Stunde heroisierender Wochenschauen und ideologietriefender ‚Kulturfilme’ in
gröberen Portionen einverleibt hatte. Die furchtbare Übermalung von Faschismus
und Krieg machte das Genre schuldig, auch in seiner betonten Unschuldigkeit.
[…] Kontinuität dann auch in der Nachkriegszeit; Heimatschwänke, ‚Schlagerlustspiele’
und Verwechslungskomödien begleiteten den Wiederaufstieg des Kleinbürgertums
zwischen Restauration und Modernisierung. Filmkritisch einigermaßen übel
beleumundete Filmformen, die unfassbarerweise in den siebziger Jahren noch
einmal eine Degenerationsphase durchlebten – aber noch viel unfassbarer, dass
sie noch einmal dreißig Jahre später im anderen Medium, dem Fernsehen, nach
ihren alten, kaum ikonographisch modernisierten Formeln wieder aufscheinen.“
Nachzulesen in, ich wage es kaum zu sagen, ANSICHTSSACHE, aber das nur
nebenbei.
Was Seeßlen über die Komödie schreibt, kann man so ähnlich auf
alle Formen des unterhaltenden Kinos ummünzen: Nach dem Systemzusammenbruch
1945 gab es eben keinen Zusammenbruch der Filmästhetik, nicht einmal ein
Rückbesinnen auf die Möglichkeiten, die das deutsche Kino vor 1933 hatte und die
immens waren. Stattdessen wurden Rückkehrer von Erich Pommer bis Peter Lorre
gedisst, ansonsten wurde weitergemacht wie bisher, nur unter hypermoralischem
statt hitlergoebbelsistischem Anspruch. Volkskunst also im schlechtesten Sinn
des Wortes, die der Härte des Tages entwich und sich im Traumland verlor – und
das nur, weil der Herr Goebbels sich nicht an das hielt, was er im Jahr 1935
für richtig hielt.
Wie aber sieht es heute aus? Heute, da das Kino der 30er,
40er, 50er durch den Neuen Deutschen Film dann doch noch umgekrempelt wurde,
weil Papas und Opas Kino eben doch noch als Käse erkannt wurde (wobei Patina
und Ideologiebelag mitunter mit Edelschimmel verwechselt wurde und das Gute
(Beispiel: Käutner) gleich mit in den Abfall wanderte)?
Nun jedenfalls sitzen wir zwischen ein paar Stühlen.
Zwischen den Großproduktionen fürs „Massenamüsement“ und dem „blassen
Ästhetizismus“, zugespitzt formuliert: zwischen Schweiger und Berliner Schule.
Dazwischen: All die Filmhochschüler, die es besser machen wollen, und die dies
auch manchmal schaffen. Zu besichtigen: Vornehmlich auf Filmfestivals; denn ins
Kino kommen ihre Filme zwar, Zuschauer aber erreichen sie dort nicht. Weil sie
nur wegen Förderrichtlinien mit ein paar Kopien, ohne Marketing, auf die
Leinwände springen; weil sie oftmals ganz im Persönlichen feststecken –
feststellbar mitunter an den Filmtiteln, von denen Harald Mühlbeyer (in,
natürlich, ANSICHTSACHE, in einer Art Reportage über die Tour de Filmfestival)
einige aufzählt, um dann festzustellen:
„[D]erart poetische, beinahe aphoristische, irgendwie nichtssagende
Titel [sind] – man muss annehmen: bewusst – so gewählt, dass sie ein bestimmtes
Publikum nicht ansprechen mögen. Die Laufkundschaft des normalen Kinos – auch
der Programmkinos – verfällt kaum auf einen Film, dessen Titel Prägnanz, Linie,
Klarheit vermissen lässt, der in der Namensgebung darauf verzichtet, Handlung,
Thema oder Ausdruck anzudeuten […].“
Und weiter: „Der Filmtitel verrät: Dies sind ausgesprochene
Festivalfilme, die vor allem dort ihre Zuschauer finden, wo diese aus der
weiten Umgebung zusammenlaufen mit dem Ziel, neue, unbekannte, sonst nirgends
zu sehende Filme zu betrachten. Und womöglich zu genießen. Sicher haben es
deutsche Filme auf dem freien Filmmarkt schwer, zumal, wenn es sich um
Debütfilme handelt oder um solche, die in kleinem Produktionsrahmen
persönliche, sperrige Geschichten erzählen und nicht von
aufmerksamkeitsheischender Starbesetzung oder Werberummel profitieren können.
Festivals bieten eine Plattform für derartige kleingehaltene, hochschwellige
Produktionen. Doch auch mit dem ‚Heimvorteil’ des Filmfestivalbetriebes und
seines filmkunstwilligen Publikums kann ein interessanter Titel nicht schaden,
um Zuschauer anzuziehen oder einfach seinem eigenen Film etwas Gutes zu tun.“
Notwendig – und hatte das nicht auch Goebbels in all seiner
Unschuld gemeint? – ist ein Mittelfeld, das bespielt wird – das nicht zu
verwechseln ist mit Mittelmaß. Ein Mittelfeld, das kaum zu finden ist, nicht
auf Festivals, nicht im Kino – produziert werden vornehmlich Blockbuster mit
garantiert hohen Zuschauerzahlen und kleingehaltene Miniproduktionen. Diese
Einteilung sagt ganz und gar nichts über die Qualität der Filme aus – sondern über
die Verteilung von Geld und Aufmerksamkeit und darüber, dass diese abgekoppelt
ist von der Güte des Films.
Gibt es eine Lösung? Kaum im gegenwärtigen System, in dem
Produzenten angewiesen sind auf Förderung von Staat und Fernsehen, sich dabei
an gewisse Vorgaben halten, dafür kaum selbst Eigenkapital aufwenden müssen. In
einem System, in dem es viel zu viele Filmhochschulabgänger gibt, die alle
gleich ins Kino drängen müssen, aber kaum Zeit haben, eine gewisse
handwerkliche Routine, eine Gelassenheit, eine Persönlichkeit des Erzählens zu
entwickeln. In einem System, in dem der Zuschauer grundsätzlich Vorbehalte hat
gegen Filme made in Germany – sicherlich nicht unschuldig daran die
Filmgeschichte zwischen UFA und NDF. In einem System, das sich weder die
goebbelssche Forderungen wider Massenamüsement und wider Ästhetizismus
zu eigen gemacht hat, noch die Analyse von der anderen Seite des politischen
Spektrums, nämlich die von Günter Peter Straschek in seinem sozialismusagitatorischen
HANDBUCH WIDER DAS KINO von Anfang der 1970er Jahre:
„Mit Schwärmertum, psychischen Wehwehchen und einer
mißdeuteten Anti-Leistungsideologie allein ist wenig zu erreichen. Und weil,
ausgenommen die Schlager/Plattenindustrie, das Theater und die Werbung, in
keiner anderen Branche sich so viele Dummköpfe und mittelmäßige intellektuelle
Hochstapler tummeln wie beim Film, ist die Gefahr des ‚Fachidioten’ auch
geringer denn die des voluntaristischen Politfilmdilettanten“,
Womit er wenigstens ein bisschen Handwerklichkeit fordert in
der linken Filmarbeit. Und weiter, gegen die Katheder des Kunstkinos an den
Filmhochschulen:
„Immer stärker ist die DFFB zu einer Versorgungsstätte für
kaum talentierte und krisenbesetzte, sich ‚bewußtwerdende’ Schriftsteller,
Maler, Buchhändler, Schauspielerinnen, Journalisten etc. geworden oder für
Mädchen, bei denen es früher gerade noch für eine Keramikausbildung in
Worpswede gereicht hätte (bzw. wer nicht an die PH kam, ging eben zur DFFB).“
Womit er einerseits seine süffisante Misogynie ausleben
konnte, andererseits aber auch einen Punkt trifft, der auch heute noch gilt:
Dass der Wille vielleicht oft stärker ist als das Können, sowohl das
handwerkliche wie das schöpferische.
Harald
Mühlbeyer
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