Sonntag, 10. März 2013

Dirty Til - Die Tatort-Schnellkritik



Wo Schweiger draufsteht, ist ganz großes Kino drin. Das heißt nichts anderes als hoher Bodycount, Verfolgungsjagden, futuristische Spitzentechnologie, große Gefühle und family values. Schweiger ist der große Kinostar, und dass er jetzt im Fernsehen auftritt, soll dem nicht im Weg stehen.

Til Schweiger ist Schauspieler und guckt.
Der neue Hamburger Tatort „Willkommen in Hamburg“, Regie: Christian Alvart, produziert von der Constantin, bringt die Action, die das deutsche Kino nicht kann und nicht darf: Schließlich ist das Verbrechensgenre schon lange in die Flimmerkiste abgewandert, wo es mehr oder weniger bieder vor sich hin taumelt, und wenn nun die Action von der RTL-Autobahnpolizei in den renommieten Tatort wandert, ist das erstmal ein guter Weg. Das in der Vorberichterstattung schon vielzitierte erste Wort des neuen Kommissars, das mit F, gehört ebenso zum anvisierten Ziel, der einen großen Wurf voraussetzt, wie die drei Erschossenen in der Anfangssequenz oder die körperliche Härte und Allgewalt, die Schweigers Nick Tschiller an den Tag legt.

Die Handlung dreht sich um Zwangsprostitution Minderjähriger, ein Thema, das Schweiger am Herzen liegt, der nämlich, ganz klar, gegen sexuelle Gewalt ist. Der deshalb gleich dutzende Osteuropäerinnen rettet: Als Erlöser schreitet er ihnen voran auf dem weg nach draußen aus dem Höllenloch, das sie festgehalten hat. Den eigentlichen Hauptplot freilich habe ich nicht so recht verstanden: Türkische Mafia regiert den Kiez, es gibt einen Prozess gegen einen der Rädelsführer, und Mark Waschke soll als freier Berater die Zeugen ausschalten. Er tut dies, indem er ihnen die Kindernutten der Mafiagang zuführt und sie anschließend erpresst – ähem: ich sag’s nochmal: die Zeugen der Anklage gegen einen Mafioso sind freudig-geile Kunden einer Minderjährigen-Escortagentur, die dem Mafioso gehört, und deswegen werden sie überredet, nicht mehr gegen ihn auszusagen. Oder andersrum: Der geile Bock geht solange zur Nutte, bis er nicht mehr spricht, vor Gericht. Wie gesagt: Die Staatsanwaltschaft hat ein paar hochkarätige Zeugen zur Hand, die aber immer weiter die Kinder ficken, die die Familie des Angeklagten ihnen zuführt. Ah, so kommen wir nicht weiter, irgendwo steck ich in einer Schleife fest.

Das hat aber nix mit Schweiger zu tun. Schweiger tut, was er kann: Nuscheln und gucken. Dabei ist er angemessen selbstironisch; und hat sich schön Blut ins Gesicht schminken lassen. Im Übrigen ist er ein Mann der Gefühle, die aber nur ihn was angehen. Schweiger ist überhaupt der Mann, der perfekte Prototyp des Geschlechts, weshalb ihm auch die eigentlich gegnerische Staatsanwältin auf den Popo kuckt. Dass sein Sidekick und Partner Fahri Yardim seine Wohnung videoverwanzt hat, findet er aber nicht gut, wegen Spannertum. (Warum bei einer videoüberwachten Wohnung aber der Besuch des Oberbösewichts Mark Waschke bei Schweigers Schützling, einer jungen Zwangsprostituierten, nicht auffällt, weiß der Film nicht zu erklären.) Yardim aber flirtet sowieso mit einer Krankenschwester, die seinen Fängen nicht entkommen kann, während Schweiger seinen Ex-Partner nicht mit dessen Frau betrogen hat, obwohl sie es ja wollte. Nein: Schweiger gibt keine Tanzkarten aus, dazu hat er sich und seine Männlichkeit zu sehr im Griff. Schweiger fickt nur, wenn sie es auch will.

Wo sind die Eier von Papa Til?
Wobei dieser Triebverzicht kompensiert wird durch die Eier, die den Film leitmotivisch durchziehen: Die von Fahri Yardim wurden von der Mafia-Munition nur um Zentimeter verfehlt, während Til seine prallen metaphorischen den ganzen Film über zeigt, so wagemutig und draufgängerisch, wie er sich vorwärtsstößt durchs Dickicht der Bösewichter. Und natürlich: Das weiche Frühstücksei, das er seiner Tochter allmorgendlich kochen soll. Die wird gespielt von seiner Tochter Luna, weil er nach Trennung von deren Mutter dafür zu sorgen hat, dass die Kinder ein Auskommen haben.

Nach guter alter Tradition darf der Tatort-Darsteller an seiner Figur mit herumfeilen; herauskommt dieses Scheidungskind namens Lenny, dem sich Nick Tschiller (wieder) anzunähern wagt, trotz ahnungsvoller Vorbehalte der Ex-Ehefrau. Denn Schweiger, der Mann, ist vor allem Familienmensch, auch wenn’s mit letztendlich so richtig der Familie nicht geklappt hat: Auch nach dem Verfall hält man zusammen. Und was man am Essenstisch versäumt, holt man mit der Nutte, die man schützt, nach: Nimmt sie väterlich in den Arm, damit sie sich ausweinen kann, und bietet als Versorger Sicherheit.

Das Beste, was Schweiger hat passieren können, war die Trennung von seiner Frau Dana 2005. Damit, direkt aus seiner Biographie, hat er sein Thema gefunden, das Überleben des Mannes in Zeiten zerbröckelnder Familien, den Umgang des Mannes, der er ist, mit den Frauen seines Lebens, mit Töchtern, Ex und neuen Liebschaftsmöglichkeiten. Er ist erfolgreich damit; auch wenn der Sexismus, der sich hinter Tils Filmen verbirgt, nur dürftig durch Selbstironie verbrämt ist. Weil’s ja letztendlich eben doch richtig ist, dass Yardim die Krankenschwester anmacht, und weil’s halt lustig ist, wenn sich Schweiger gegenüber der Nutte als schwul ausgibt.

Aber natürlich: Das ist ja nur ein Film, und nicht die Wirklichkeit. Damit man das nicht vergisst, bringt Alvart immer wieder Hämmer, die so dermaßen darüber hinausgehen, dass man vor Freude heulen könnte. Wie Til einem Lieferwagen, einem schwarzen natürlich, hinterherrennt, ihn einholt, zack ist er auf dem Dach, zack mit den Füßen die Seitentür aufgestoßen und buchstäblich mit dem kleinen Zeh den Schurken verhauen, der grad eine kleine Nutte erwürgen will. Mit ihr dann abgesprungen, in Zeitlupe, und sie dann auch noch vor einem heranbrausenden LKW gerettet! Oder das Finale, wie er im Lusttempel des bösen Kinderescortservice – einer alten Lagerhalle, was sonst – mit leergeschossenem Magazin die Bösewichter überwältigt, gleichzeitig noch die arme Zwölfjährige aufmuntert, dann zum Fenster raus, klirr, im Stockwerk drunter wieder rein mitten in den Mädelsschlafsaal, denen er eine große Portion Hoffnung ausschöpft, um sich wieder ins Kampfgetümmel zu stürzen. Nach diesen Heldentaten ist Til Schweiger aber nun wirklich ganz und gar willkommen in Hamburg, und im Tatort-Stadel.

Harald Mühlbeyer

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