Donnerstag, 18. April 2013

"Das Leben ist nichts für Feiglinge" - Die Kritik



Selbstverständlich haben wir doch bei NFP nachgehakt. Und selbstverständlich konnte man uns dort nicht weiterhelfen bei unseren Fragen bezüglich Verleihwechsel, Startterminverschiebung etc., die André Erkaus „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ hat erleiden müssen. Auch off the record konnte uns nichts Weiteres gesagt werden: Wie lief das denn mit dem Verleihwechsel? Naja, man fand den Film auf dem Hamburger Filmfest gut und es gab dann Verhandlungen… Im Übrigen veranstaltet NFP soundsoviele Previews, lässt Regisseur und Darsteller soundsoviele Städte besuchen, hat soundsoviele Plakate aufgehängt… War Wotan Wilke Möhring von vornherein als Executive Producer eingebunden, der den Film nun ausweislich des Vorspanns „präsentiert“? Dazu weiß ich nichts, aber Wotan findet den Film so wichtig, dass er ihn voll unterstützt.
Solcherartige „Information“ ist aber voll in Ordnung. Ein Konzern gibt seine Betriebsgeheimnisse nicht preis, Coca Cola verrät nicht sein Geheimrezept, Otto Normalösterreicher zählt nicht die Leichen in seinem Keller. Und in einem hat Hinsdorf auf jeden Fall recht: Der Film hat das Zeug, für sich zu sprechen, sprich: andere über sich sprechen zu lassen. Mundpropaganda ist das Zauberwort, das den Film mit etwas Glück aus dem Normschicksal des deutschen Normfilmes herausreißen könnte. Verdient immerhin hätte er es.

André Erkau (rechts) mit Wotan Wilke Möhring am Set
Erkau erzählt von der Trauer. Lange und ausführlich. Markus (Möhring) und seine Tochter Kim (Newcomerin Helen Woigk) sind mit dem Tod konfrontiert: Ehefrau / Mutter ist bei einem tragischen Unglück umgekommen, ein Unfall, der aus der Distanz des Kinosessels schon wieder komisch wirkt. Der aber das Leben aus der Bahn wirft. Markus weiß nicht ein noch aus, die Tochter, ohnehin in Gothic-Schwarz gekleidet, schaltet die Lautstärke des MP3-Players hoch und kapselt sich ab. Und ihre Oma Gerlinde? Sie kocht für die Trauernden. Und erfährt vom Arzt ihre Krebsdiagnose. Die sie verheimlicht, aus Rücksichtnahme, vielleicht auch aus Selbstschutz, vielleicht auch, weil ohnehin von vornherein eine gewisse Spannung zu herrschen scheint zwischen ihr und ihrem Sohn Markus.

Was Erkau in kleinen Gesten, in wenigen Szenen, in minimalen Details erzählt, was man gar nicht bemerken muss, was den Film aber auf eine Art bereichert, die ihn herausragen lässt aus dem Einerlei. Wie Erkau sich ohnehin auf sein Gespür für Stimmungen verlässt (und sich darauf verlassen kann), wie er sich auf die Qualitäten seiner Darsteller stützt (die er sicher und prägnant zu führen versteht); wie er deshalb eine ganze Stunde lang ohne eigentliche Handlung auszukommen vermag.
Man erlebt die Rumpffamilie in ihrer Trauer. Mehr ist nicht. Man erlebt Gerlinde, zwischen Ironie, Sarkasmus und Trotz, sich mit ihrer Pflegerin Paula (überdreht, aber glaubwürdig: Rosalie Thomass) zusammenraufen, Markus, wie er versucht, etwas auf die Reihe zu bringen, was längst aus der Spur ist, Kim, wie sie versucht, emotional mit sich selbst klarzukommen. Denn neben die Trauer treten eben auch die Teenie-Hormone der Pubertät, und Alex (Frederick Lau) ist einfach zu cool – als Schulabbrecher, Trotzkopf vom Dienst und Rampensau im Alltag.

Das schwere Thema geht Erkau in seiner bittersüßen Tragikomödie mit absurdem Humor an. Ein Humor, der sich punktuell in einzelnen Szenen, an einzelnen Nebendarstellern offenbart. Da ist der Krebsdoktor so was von überhaupt nicht an seiner Patientin interessiert (und wir erinnern uns als Kontrastmittel an den Anfang von „Halt auf freier Strecke“…); da versteckt sich die Tussi im Reisebüro geradezu bösartig hinter den Vorschriften: Nein, ohne Reiserücktrittversicherung wird auch bei Tod nicht storniert. Kim wird vom Klassenlooser angehimmelt, der in seiner unbedarften Naivität fast schon rührend wirkt. Und Markus’ Freunde machen einen so plumpen Versuch, ihn mit einer Psychologin (lies: der Karikatur einer Psychologin) zusammenzubringen… Und dazu immer wieder Rosalie Thomass, die Pflegerin, die eigentlich Schauspielerin sein will, die auf Teufel komm raus gerne Rollen improvisiert, ob’s zur Situation passt oder nicht.

Das sind Witze und Gags für den Moment, für den Lacher zwischendurch – Lacher für den Zuschauer, wohlgemerkt, nicht für die Protagonisten; und beinahe würde dieser simple Komikmechanismus, sich nämlich ein schweres Thema mit kleinen comic reliefs leicht zu machen, auf die Nerven fallen. Doch andererseits, und da ist Erkau wirklich gut, spürt man doch die Lebenshaltigkeit des Films, die sich auf den Kern konzentriert. Wiewohl alle Figuren ungefähr nur eine Haupteigenschaft besitzen, die sie charakterisiert, sind Markus und Familie doch eingebunden in ein lebensechtes Milieu der oberen Mittelklasse. Die Arbeit ist nicht spektakulär und wird nebenbei miterzählt, die Mühsal nach dem Verlust zeigt sich in vielen Details, die langsame Entfremdung, die der Schock mit ausgelöst hat, die allmähliche Auseinanderentwicklung, die die normalen Pubertätskonflikte noch verstärken, werden beiläufig ins Bild gefasst.

Dann beginnt es, etwas geschieht, Kim reißt mit Alex aus in Richtung Dänemark, weil sie es nicht mehr aushält. Jetzt kommt Bewegung in die Familie, in die Gefühle, im letzten Drittel wird der Film zu einem Roadmovie, und bemerkenswerterweise verschiebt sich der Fokus von Markus auf eine neue Hauptfigur, Kim, in deren Innenleben wir nun Einblick bekommen, die in ihrer Halsüberkopfliebe und ihrer Leckmichamarschtrauer gewaltigen Eindruck macht – auch, weil diese Rolle zeigt, dass in Helen Woigk noch Großes steckt.
Ein paar Überflüssigkeiten – exemplarisch: eine Verfolgungsjagd über einen Campingplatz – müssen verziehen werden. Wer den Blick auf Erkaus Blick auf das Geschehen richtet, wird in diesem Film reichlich fündig werden mit schönen Einfällen und klugen Offenbarungen. Denn all die Nervbolde, die Karikaturen, die für Komik sorgen, die Markus und Co. erleben müssen, sind eingesponnen in eine leicht melancholische Sicht auf die Dinge, auf dieses Absurditätenkabinett, das uns umgibt. Erkau zeigt zwar überspitzt, manchmal fast zu scharf – aber er zeigt dabei etwas Wahres.
Auch für diese verzerrende Perspektive, die die Realität aufzuzeigen versteht, gibt es ein Sinnbild in dem Film, eine wirklich feine, witzige Idee. Kim und Alex gehen ins Kino, sehen sich – er ist schließlich ein harter Hund, sie ein Gothic Girl – standesgemäß einen Horrorfilm an. Einen in 3D. Gezeigt in einem 2D-Film. Sprich: mit allen Unschärfen, mit Schatten, mit Bildverdoppelung, wie man’s halt sieht ohne Stereoskopie-Brille. Weil’s „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ eben zeigt, wie es ist.

Harald Mühlbeyer


Kinostart: 18. April 2013

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