Freitag, 6. September 2013

The Goebbels Experience # 5: Die fünfte von sieben Thesen zum Film: „Film muß zeitnahe bleiben“



Joseph Goebbels ist Geschichte. Filmgeschichte. Zusammen mit seiner ganzen Mischpoke aus Naziführern und SS-Sadisten, aus Großmachtphantasten und Untergänglern. Dass sie fort und vergangen sind, ist nicht nur politisch und menschlich schön, sondern auch hochwillkommen für diverse Filmemacher, vor allem für Produzenten. Denn soviel Stoff, der hochdramatisch ist, der hochpolitisch ist, der anspruchsvoll ist, der betroffen macht, der die Superbösewichter gleich mitliefert und zu all dem noch wahr ist, ist ein Geschenk des Himmels.

Ist es nicht Ausbeutung eines der schrecklichsten Menschheitskapitel, dieses als Grundlage für Filme, für Unterhaltungszwecke zu nehmen? Darf in einem Film über den Nazi-Komplex das Entertainment eine Rolle spielen, dürfen sie massentauglich sein, Mainstream, der stets Vereinfachung und Verdichtung ist? Ist es zynisch, mit der grausigen Geschichte filmisch zu jonglieren? Ist es barbarisch, nach Ausschwitz einen Film über Nazis zu drehen?
Darf es in solchen Filmen nur um strikte Aufklärung gehen, um Geschichtsbewusstsein unter Umgehung von Betroffenheitsemotion?

Tatsache ist, dass wir in einer Zeit der Hitlerinflation leben, ungefähr seit Mitte der 1990er, seit Guido Knopp. Tatsache ist, dass man kaum fliehen kann vor den medialen Nazis; dass man aber von den realen Nazis immer weniger weiß – oder besser vielleicht: wissen will, weil man von ihren Kino- und TV-Avataren schon übersättigt ist. Je mehr Nazi-Oberfläche man vorgesetzt bekommt, desto weniger hat man Anlass oder Lust, in die Tiefe zu schürfen – dahin, wo es wirklich weh tut. Weil die Bösen nicht nur die sind, die Uniform tragen und mit Thomas Thieme besetzt sind. Weil die Nazizeit nicht einfach so urplötzlich aus der Weimarer Republik entsprungen ist, und weil sie nicht nach 45 vorbei war.

„Der Film muß wie jede andere Kunst zeitnahe bleiben, um zeitnahe zu wirken“, schreibt der Herr Goebbels in seiner fünften These zum Film. Da hat er etwas im Sinn: Nämlich den Eskapismus zu überwinden, gesellschaftsrelevant zu sein – so was ähnliches hatte er schon in These 3 ausgeführt, dass der Film nicht „vor der Härte des Tages entweichen und sich in einem Traumland verlieren dürfe“ etc. pp.
In Nummer 5 geht er genauer ein auf die gewünschten Inhalte des guten und richtigen Films: „Seine Probleme, er mag ihre Vorwürfe aus anderen Ländern und fernen Geschichtsepochen nehmen und holen, müssen dem Geist der Zeit angeglichen werden, um den Geist der Zeit ansprechen zu können.“ Klartext: Exotik und Historik sind OK, wenn sie im richtigen (sprich: nationalsozialistischen) Geist behandelt werden, um den richtigen (sprich: nationalsozialistischen) Geist ansprechen zu können. Damit meint er den Geist, den sein Ministerium dem deutschen Volke auferlegt und den das deutsche Volk vielleicht mit Begeisterung, vielleicht mit Bedenken, sicher mit Ergebenheit in sich aufsaugte.

Jupp Goebbels gibt sich zeitnah
Er fährt fort: „In diesem Sinne trägt auch der Film, wie jede andere Kunst, so paradox und
widersinnig das klingen mag, die Tendenz der Zeit, an die er sich wendet und für die er schöpferisch wirkt.“ Wobei unklar ist, was paradox und widersinnig daran ist, wenn ein Film ein Kind seiner Zeit ist. Vielmehr ist diese These zunächst einmal ein exemplarischer Fall von goebbelsschem Schwafeln: Film muss zeitnah bleiben, um zeitnah zu sein, seine Inhalte müssen an den Zeitgeist angeglichen werden, um den Zeitgeist anzusprechen, und er trägt deshalb die Tendenz seiner Zeit in sich – Tautologie, ick hör dir trapsen.

Auch wenn Goebbels seine These mit einer Aufforderung überschreibt – „Film muß zeitnahe bleiben“ –, so ist der Inhalt doch eher beschreibende Analyse, und im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Tenor jedenfalls: Film, Zeitgeist, Wirkung.  

Was nun, wenn man Goebbels’ An- und Einsichten auf ihn selbst anwendet, besser: auf sein mediales Ich, das durch die Film- und Fernsehgeschichte spukt?
Kann Herr Goebbels dann helfen, bessere, tiefere Nazifilme zu drehen?
Indem er bewusst macht, dass Filme nicht über eine Zeit gedreht werden, sondern für eine Zeit? Und dies nicht nur im oberflächlichen Sinn, dem heutigen Zuschauer eine bestimmte Epoche nahezubringen. Sondern auch unter dem Aspekt, dass es einen Grund gibt für die Beschäftigung der Zuschauer mit dem Dritten Reich. Nota bene: mit fiktionalisierten Versionen des Dritten Reichs.

Das Thema eines Filmes und die Themen des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses umschlingen sich, umwinden sich, reiben sich aneinander, befruchten sich gegenseitig. Ein Wissen darum kann dazu führen, dass man den Trend melkt: Diskurs führt zu Filmdreh, der zu mehr Diskurs führt. Mehr Nazifilme führen zu mehr Nazifilmen. Bis es dem Zuschauer über wird und sich das Genre in Parodie auflöst, die Geschichte zur Farce wird. Aber so richtig unbefangen die Nazischiene zu veräppeln ist bisher nur punktuell gelungen, siehe Walter Moers, siehe Levy/Schneider, siehe „Iron Sky“. Ein wirklicher Umschlag ist bisher nicht festzustellen, so wünschenswert er auch ist.

In seiner Zeit meinte Goebbels mit seiner These seinen Film, der nationalsozialistischer und noch nationalsozialistischer werden sollte. Bezieht man seine Sätze auf die heutige Zeit, speziell auf Filme über den Nationalsozialismus – dann meinen sie paradoxerweise ebenfalls einen Trend der Verharmlosung ihres Themas. 

Denn betrachtet man, wie die heutigen Nazi-Filme „dem Geist der Zeit angeglichen werden, um den Geist der Zeit ansprechen zu können“, wie sie „die Tendenz der Zeit, an die [sie] sich wende[n] und für die [sie] schöpferisch wirk[en]“, in sich tragen, kann man erschrecken. Von Flüchtlingsdrama bis Bombenkrieg werden die Deutschen unterschwellig oder überdeutlich als Opfer dargestellt; und mitunter geht diese Apologetik auch ins Individuelle, etwa wenn sich Götz George unter der Regie von Joachim Lang mit seinem Vater, dem großen Volksschauspieler und Propagandisten Heinrich, auseinandersetzt, der ja nur spielen wollte, ein paar Juden half und von den Russen bis in den Tod fertiggemacht wurde!

Sonja M. Schultz hat in ihrer großartigen Studie Der Nationalsozialismusim Film mit kluger Filmauswahl und klarer Analyse diese ideologische Strömung der letzten Jahre/Jahrzehnte herausgearbeitet: Das Publikum hat wenig kritischen Abstand; und die Filmemacher benutzen eine Überwältigungsästhetik, die gerade bei diesem Thema kaum angebracht ist. Ironische Brechung, klare Ansage, dickes Brett bohren und vor den Kopf stoßen – solches findet man nicht.

Man könnte sich den Bezug fiktionaler Vergangenheitsbehandlung zur aktuellen, tatsächlichen Vergangenheitsbewältigung bewusst machen, um daraus reflektierte Filme zu kreieren, die eine tatsächliche Auseinander-Setzung sind und kein fröhliches Beisammensitzen, kein Get-Together in tröstender Harmonie. Man muss sich nur ansehen, was in der Gesellschaft läuft: Es gibt ja nicht nur die offensichtlichen Neo-Nazis, die ihr Unwesen treiben. Die NSU-Affäre hat deutlich gezeigt, wie tief in den Behörden die Vorurteile stecken, wenn eher Familiendramen, gekaufte Killer und Mafia-Unterwelt vermutet wird als Rechtsterrorismus; wenn in Berlin gegen eine Asylantenunterkunft demonstriert wird, greift der Bundesinnenminister ein: Dies schade dem Vaterland, weil Deutschland ja derzeit einen so guten Ruf in der ganzen großen weiten Welt genieße; und im Fernseh-Wahldreikampf weiß ein Herr Brüderle genau, woher die Staatsschulden kommen, nämlich von den vielen Milliarden, die an unterentwickelte Länder im südlichen Euroraum fließen (eine These, die sich kaum unterscheidet vom NPD-Wahlwerbespot).

Auch solches könnte man aufgreifen, nicht nur in Arthouse- und Nischenprodukten; dann wäre der Nazifilm tatsächlich zeitnah, würde für seine Zeit und seine Gesellschaft schöpferisch wirken. Und wäre nicht nur ein Historienfilm mit „Jajasoschlimmwarsdamals“-Attitüde – oder ärger noch: mit „Soschlimmwarendamalseinpaargroßkopferte“. Und damit würden die goebbelsschen Worte von der filmischen Zeitnähe ganz hart auf ihn zurückfallen…

Aber natürlich darf man sich nicht bemühen. Denn Anstrengung, etwas aufzuzeigen, auf etwas hinzuweisen – das ist der Tod der Filmkunst.
Aber das gilt sowieso für jeden Film.

Harald Mühlbeyer

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