Dem deutschen Film, es geht im mal wieder schlecht. Kaum hat das FILMZ–Festival gezeigt, was für ein gelungenes Jahr wir bald hinter uns haben, klagt Martin Hagemann, Produzent und HFF-Potsdam-Professor auf fr-online über den Stand der Dinge. Hagemann, der eine beindruckend gemischte Palette an (Co-)Produktionen – von Christopher Smiths UK-Horror CREEP über Michael Kliers FARLAND bis Béla Tarrs sperrigen THE TURIN HORSE – vorzuweisen hat, bietet dabei bekannte Argumente und „Feinde“ auf: das hiesige Fernsehen, das bestenfalls Brotjobs und Abhängigkeitsverhältnisse für Produzenten bietet und darüber hinaus nur Seichtes; die historische Fehlentwicklung in Sachen experimentierfeindlicher Förderstrukturen, die „Überproduktionskrise“ und die einhergehende Aufmerksamkeits“kannibalisierung“ etc.
Vieles davon hat man davor schon lesen können – unter anderen bei uns in ANSICHTSSACHE, wie die von Harald Mühlbeyer konstatierte Kluft zwischen Kommerz hier und Kunstkino dort (bei Hagemann: dem, freilich zugestandenen, Erfolg von FACK JU GÖHTE und der MoMA-Adelung er „Berliner Schule“). „Es fehlt an regelmäßigen guten Produktionen“, so Hagemann (quasi unisono mit Mühlbeyer). Genauer: „Es fehlen in Deutschland seit langem Spielfilme, die sich zwischen den Polen von wirtschaftlicher und kultureller Ausrichtung positionieren. Es fehlt an regelmäßigen guten und erfolgreichen Filmproduktionen, die an einem Begriff von Film festhalten, der populär und anspruchsvoll zugleich ist“ (Hagemann).
Da allerdings Hagemann vom Fach kommt, hat er einen spezifischen Blick, der (so) den vielen anderen öffentlichen Klagen, derer es – muss man auch sagen – kaum genug geben kann, insofern abhebt, als er besonders auf seine Berufsgruppe und ihre konkrete Arbeits-, mithin Finanzierungslage verweist, was in anderen Debattenbeiträgen tendenziell weniger der Fall ist.
Hagemann kritisiert die Machtlosigkeit der Produzenten, bzw. deren Entkapitalisierung. „Wenn aber Produzenten heute nur noch von der Herstellung der Filme und nicht von ihrer Auswertung leben können, werden sie zu Auftragsproduzenten der Verleiher und Verwerter, ähnlich wie in der Fernsehproduktion, bei der in der Regel alle Rechte an den Sender abgegeben werden und fest vereinbarte, erfolgsunabhängige Honorare den einzigen Erlös der Produzenten ausmachen.“
Und: „Die Hälfte der sechshundert Millionen Umsatz innerhalb der deutschen Kinofilmproduktion wird heute in einem Prozent der deutschen Produktionsfirmen bewegt, während 83 Prozent der Produktionsfirmen nur für acht Prozent des Umsatzes verantwortlich sind.“
Das ist ein richtiger, wichtiger Punkt; ich wüsste gerne, woher er diese Zahl hat (nein wirklich, ist nicht rhetorisch gemeint!). Am Schluss noch verweist Hagemann zur Lösung auf eine ebenfalls nicht allzu neue Idee: Die Trennung zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Filmförderung (was sich leider immer so ein bisschen beißt mit dem versöhnenden Wunsch nach sowohl künstlerische wie kommerziellen „guten“ / „erfolgreichen“ Filmen, s.o.). Aber er nimmt auch die Kinos in die Pflicht, die risikoscheu seien, sich an die Sperrfristen klammerten. „So werden sie wohl das jüngere Publikum an Internetportale wie netflix und Co. verlieren.“
Das ist nun ein besonders spannender Punkt, denn just an dem Tag, da Hagemanns Artikel auf der Onlineseite der Frankfurter Rundschau erschien, verkündete Axel Ranisch und das Team von „Sehr gute Film“, kaum zurück aus Mainz in Berlin, wo sie für ICH FÜHL MICH DISCO den Hauptpreis erhielten, ein ganz besonderes Angebot: Ranischs günstig hergestellter Erfolgsfilm DICKE MÄDCHEN, die erste Produktion von „Sehr gute Filme“ ist für 9,99 Euro als Stream und Download auf der Seite der Firma zu haben [1].
Streams und Downloads ersetzen natürlich nicht die Kinoerfahrung. Das sieht Ranisch aber ohnehin nicht so eng. Und mehr noch ist dieser digitale Selbstvertrieb ein mögliches Konzept, das zwar mit vielen Fallstricken verbunden ist (ob Kino oder Netflix: es braucht wohl eine etablierte Plattform, die den meisten Filmsuchenden das Angebot zumindest vorstrukturiert und präsentiert). Es hat, zusammen mit ähnlichen Direktvertrieben aber Signalcharakter und den Vorteil, tatsächlich sämtliche an oder zumindest in der Misere profitierenden „middle men“ (wie sie Hagemann als Teil des Übels beschreibt), zu umgehen.
Darüber hinaus bindet es Fans natürlich noch mehr Innigkeit; alles aus einer Hand. Wenn „Sehr gute Filme“ die „Bio-Produkte der Deutschen Filmlandschaft“ sind, wie es im „Sehr guten Manifest“ zu lesen steht, was liegt da näher, auch direkt vom Erzeuger zu kaufen?
zyw
[1] Gerne hätte ich in diesem Kontext einen Zwinker-Zwinker-Kalauer in Sachen Sich-Dicke-Mädchen-im-Internet-für-kleines-Geld-anschauen eingebracht (Dicke Mädchen „auf allen Geräten“ - ti-hihi!); passte jetzt aber nicht so, sei aber als famose Idee und Ulkigkeitsbeweis hier nicht ganz unterschlagen.
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