Montag, 2. Dezember 2013

FILMZ 2013: Mainz fühlt sich Disco

Ranisch-Pinkowski-Festspiele


FILMZ 2013 ist vorbei und hat einen glücklichen, sehr guten Hauptgewinner. Nach DAS KALTE EISEN von Thomas Lauterbach als bestem Dokumentarfilm und DIE SCHAUKEL DES SARGMACHERS von Elmar Imanov als bestem mittellangen Film ist es Axel Ranisch mit seinem ICH FÜHL MICH DISCO, der das „Mainzer Rad“ mit nach Hause nehmen darf. Knapp war die Entscheidung – die FILMZ-Filmprämierungen sind alles Publikumspreise, und fast ebenso gerne wie DISCO mochten die Mainzer KOHLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL von Aaron Lehmann und Michaela Kezeles Drama DIE BRÜCKE AM IBAR. Doch eben nur fast. Und gewonnen hatte Axel Ranisch zusammen mit Pinkowski auch darüber hinaus.



Neben ICH FÜHL MICH DISKO, in dem Pinkowski die zweite Hauptrolle spielt, präsentierten beide gleich noch einen weiteren Film auf dem Festival des deutschen Kinos: den ebenfalls ohne fertige Dialoge produzierten Kinderfilm REUBER, in dem Pinkowski mit seiner stattlichen Gestalt titelgebenden – des Schreibens und Lesens eben eher unkundigen – Wegelagerer gibt. Darüber hinaus war der Schauspieler noch in zwei weiteren Werken – KOHLHAAS und dem mittellangen STUFE DREI – zu sehen, so dass schon bei der Moderation von ICH FÜHL MICH DISCO gescherzt wurde, es handele sich beim FILMZ 2013 eigentlich innoffiziell um die Heiko-Pinkowski-Festspiele.

Tatsächlich war es eher ein Ranisch-Pinkowski-Festival, aller hervorragenden Filme vor allem im Wettbewerb zum Trotz. Allein schon, weil sich der fröhlich-herzliche „Spielleiter“ Ranisch zusammen mit seinen „Sehr-Gute-Film“-ProduktionsfirmenmMitbegründern Pinkowski und Produzentin Anne Baeker (es fehlte nur noch Kameramann Dennis Pauls) auf der Bühne des Capitol-Kinos wie Bolle nicht nur über die 1.500 Euro Preisgeld oder die Auszeichnung an sich freuten, sondern auch die erneut von Juwelier Richard Weiland gestiftete und von ihm höchst selbst kreierte Bergkristalltrophäe bestaunten und bewunderten. Bis hin, dass die Sorge aufkam, ob nicht die ICH FÜHL MICH DISCO-Produzentinnen Ansprüche auf die Skulptur erheben könnten. So gewannen Ranisch und Co. auch die letzten Mainzer Zuschauersympathien.

Juwelier R. Weiland (l.), A. Ranisch (m.) u.
H. Pinkowski (Bild: FILMZ)

Ranisch freilich konnte schnell beruhigt werden: Der Preis und mithin das kleine Kunstwerk ist für den Regisseur. Selbst wenn dieser sich wie Ranisch lieber als „Spielleiter“ sieht und tituliert. Denn das Filmen, erklärte er bei den Fragerunden zu seinen Filmen, mache ihm einfach so viel Spaß. Und da sowohl der „Sehr gute Film“-Film REUBER (der im Nachklapp zu Ranischs Überraschungserfolg DICKE MÄDCHEN entstand und wie dieser quasi an der No-Budget-Grenze ansiedelt) wie auch der von Arte und dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF geförderte ICH FÜHL MICH DISCO (mit zehn erstellten und schließlich allesamt weggeworfenen richtigen Drehbuchfassungen) lediglich ausgehend von einer (vor allem Figuren-) Skizze frei entstand, ist das Spiel der Darsteller mehr als üblich als ein eben solches zu betrachten: Ein Spiel, das sich entwickelt, das seine eigenen Regeln kennt und entfaltet und in dem der Schauspieler, wie Ranisch unumwunden zugibt, eher dem Regisseur etwas zu sagen hat als umgekehrt. „Zu 99 % hat der dann recht“. Schließlich wisse der Schauspieler, so Ranisch, ja viel besser über "seinen" Charakter Bescheid als er.

Ganz warm und freundlich wird’s einem in der Seele im traurig-grauen adventlichen Mainz, wenn Ranisch dort unten vor der Leinwand steht, schelmisch schmunzeln, das Mikro wie ein kleines Küken mit beiden Händen dicht unterm Kinn, dabei eine fröhlich Lust an seiner Arbeit und mitreißende Lebensfreude und -freudlichkeit verströmt. Entsprechend wachsen nicht nur auf der Leinwand mit und über Ranischs „Filmfamilie“ hinter und v.a. vor der Kamera – seine Oma Ruth Bickelhaupt etwa oder die „DICKEN MÄDCHEN“ Pinkowski und Peter Trabner (der in DISCO nur einen Kleinstauftritt hat, in REUBER aber mit Verve und Aberwitz den bösen Zauberer hinlegt) – die Filme zusammen und Einem ans Herzen: Dank Ranischs Auftritten, seinen Anekdoten und einnehmenden Art, die sich auf den unterschiedlichen Ebenen seiner Filme wie eine Weltsichtweise mit positiver Energie-Aura wiederfindet, schwappen eben diese Filme sozusagen von der Leinwand hinein in die Wirklichkeit, werden Oeuvre und grenzenloses Gesamtkunstwerk der besonderen Art.

Zumal sich diese Werke wiederum vieles aus der Realität fischen, den Neffen Tadeus als kleiner Held in REUBER, in ICH FÜHL MICH DISCO die Biografie. Auch Ranischs Schwimmmeister-Papa, dem der Film gewidmet ist, lehrte Turmspringen, doch anders als Florian (Frithjof Gawenda) hat der kleine Axel damals gekniffen. Die sagenhafte Postkarte mit dem denkwürdigen Lebensweisheit „Dicke Kinder sind schwerer zu entführen“, die in Florians Kinderzimmer an der Wand hängt, stammt aus Ranischs eigener Wohnung. Gänzlich frei erfunden, etwa in Sachen Unsportlichkeit ist ICH FÜHL MICH DISCO also nicht, aber das macht und sagt ja (noch) nichts, bleibt im Thematischen. Wie der Film mit der erwachenden Sexualität, mithin dem Schwulsein, umgeht, ist bestechend in seiner Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, weil der Film zugleich nicht die Unsicherheiten, die Risiken und Verletzungen ausspart, die Florian da mit dem rumänischen Jungen Radu (Robert Alexander Baer), Sprungturmschüler von Florians Papa Hanno (Pinkowski), machen und durch diesen erdulden muss. Dass derlei einfach „dazugehört“ zum homosexuellen Leben (ebenso wie ähnliche Schmerzlichkeiten überhaupt zu allen Herz- und Hormondingen) vermittelt ICH FÜHL MICH DISCO auch verblüffend bestechend: indem Liebe / Freundschaft zwischen Florian zum „uneindeutigen“ Radu schlicht nicht auserzählt bzw. zu keinem auch nur zwischenzeitigen oder moralischen Ende gebracht wird.

Eigentlich mehr geht es ja auch in ICH FÜHL MICH DISKO um Papa Hannos Verhältnis zu Florian, die miteinander nicht so viel anfangen können. Hier der Macher, der seinem Sohn das Familienmofa aufnötigen und einen ganzen Kerl aus ihm machen will, dort der pummelige Zartgeist mit dem Wunsch nach einem Klavier und ansonsten seiner Ruhe. Dabei hat Ranisch wohl daran getan, nicht den bösen harten, aber im Kern weichen Vater gegen einen unverstanden-leidenden Sohnemann zu setzen. Hanno macht von Beginn an in seiner polternden Hilf- und Tölpelhaftigkeit eine solch einnehmende Figur, dass man ihn auch noch dann drücken möchte, wenn er schnauffig-hadernd in der Schwimmhalle Radu oder Florian auf dem Zehner zusammenwettert. Ein voluminöser walrossbärtiger Klotz, der gestisch und mimisch hinter jedes Wutgezeter noch ein relativierendes „Is’ doch wahr...“ stumm zu setzen scheint.

Florian wiederum kann auch schon Kontra geben. Und überhaupt ist da ja noch Mutti (Christina Große). Und Christian Steiffen. Mit ersterer kann sich Florian herrlich unter der Disco-Kugel in tropisch-entspannende Gefilde träumen (während dem ersatzhaften Papa später zur Ausgestaltung des imaginierten Meer-Idylls ein Öltanker gerade mal einfällt, auf dem Weg nach Rotterdam). Oder Mama und Flori tanzen kostümiert zu den Songs von letzterem: Schlager-Comedian Steiffens famoses Stück „Sexualverkehr“ liefert das Intro des Films – und dass daraus ICH FÜHL MICH DISCO (auch so ein Steiffen-Titel) was für eine ausgelassen-warmherzige Mutter-Sohn-Nummer macht, kennzeichnet schon eine spezielle Güte des Films.

Aber Mutti bekommt einen Schlaganfall und fällt ins Koma. So müssen sich Hanno und Florian zusammenraufen, sich näher kommen, sich gegenseitig stützen. Auch hier mischt Ranisch wohldosiert Tragik mit großem Ulk und teils unwiderstehlich absurdem Witz: Erscheint Schnulzenbarde Steiffen Florian noch klar im Tagtraum, lässt er sich vom betrunkenen Papa in einem Asia-Restaurant verständnisvoll und souverän in die Fresse hauen, um ihm hernach ein Ständchen zu singen („Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disco, das sag‘ ich dir. Manchmal ist das Leben nur eine Flasche Bier“), sich mit ihm die Kante zu geben und abschließend Hanno eine Aufklärungsset in puncto „Schwuler Sohn, was nun?“. Ganz real also ist die enthaltene DVD aus den Händen des magischen Helfers Steiffen, die Hanno am nächsten morgen einlegt. Ein Ratgeberfilm von Rosa von Praunheim (einer von Ranischs Lehrern an der HFF-Potsdam, über den er u.a. mit Tom Tykwer und Chris Kraus die Doku ROSAKINDER gedreht hat). Und neben von Praunheim sieht Hanno sich plötzlich selbst sitzen, bei sich daheim, auf der Couch (siehe dazu auch den Filmtrailer HIER) ...


Improvisation hin, Skizzenhaftigkeit her: ICH FÜHL MICH DISCO präsentiert eine im Kern klassische, man könnte auch sagen allzu bekannte Geschichte. Umso überraschender, fast überrumpelnder ist es, was Ranisch daraus, ja,  überhaupt: wie viel Spaß der Film macht. ICH FÜHL MICH DISCO fabuliert sich schwungvoll wie irrwitzig, dabei mit der richtigen Menge an – auch stilistischen – Ecken und Kanten durch sein Familiendrama, umschifft auch die wichtigen, teils generischen Klippen der Tragödien mit Bravour, um am Schluss zwar nicht alles gut sein zu lassen, aber letztlich das Leben einen Partykeller mit Lichtorgel, Rüschenhemd und guter Laune, damit: alles ein bisschen besser. Auch die Stimmung und das Gemüt der Zuschauer, die sich schon auf den nächsten Streich Ranischs und Pinkowskis und vor allem beider zusammen freuen.


zyw

P.S.: Einen Beitrag über Axel Ranisch, seine Arbeit(sweise) und die anderer Vertreter des "German Mumblecore" finden Sie in ANSICHTSSACHE - ZUM AKTUELLEN DEUTSCHEN FILM.

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