Donnerstag, 19. Februar 2015

Resümee der ersten "Woche der Kritik"

Die erste "Woche der Kritik" des VDFK, die parallel zu Berlinale stattfand, ist vorbei. Zu der gab es, von vornherein, Unmut. Die Betreiber selbst aber liefern ein nachdenkliches, nachdenkenswertes Fazit, das, jenseits einfallsloser Pressemeldungen zum unweigerlichen "Erfolg", wert ist, hier in Gänze wiedergegeben zu werden.

Besonders sei hier - wie am Ende der Meldung - auf den YouTube-Kanal der "Woche der Kritik" hingewiesen, in dem die langen spannenden Diskussionen nach den Filmvorstellungen als Aufzeichnungen nachzuholen oder sich noch mal zu Gemüte zu führen sind.

(zyw)
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Resümee der ersten Woche der Kritik – Zitate und Debatten

„Die Kritik muss ein Instrument sein für diejenigen, die kämpfen, Widerstand leisten und das, was ist, nicht mehr wollen. (...) Sie ist keine Etappe in einer Programmierung. Sie ist eine Herausforderung für das, was ist.“
Michel Foucault

Die Woche der Kritik ist auch nach sieben Tagen nicht abgeschlossen. Als eine Form der aktivistischen Filmkritik und cinephilen Debattenkultur kann sie nicht zu Ende gehen. Mit umfassenden Diskussionen, die im Kino Hackesche Höfe eine Woche lang lebhaft zwischen internationalen Filmkritikern, Regisseuren, Produzenten, Filmwissenschaftlern und Akteuren der Film- und Festivalwelt mit und vor großem Publikum geführt wurden, hat die erste Woche der Kritik einen Denk- und Aktionsraum geöffnet, der über die Veranstaltung hinaus wirken wird. 

Frédéric Jaeger, Leiter Woche der Kritik:

In der zweiten Hälfte der Woche gerieten unsere Debatten immer mehr aus den Fugen, wurden länger, widersprüchlicher und grundlegender. Da ist mir dann klar geworden, dass ein Anfang getan ist. Bezeichnenderweise war es der mit ‘Provokation’ überschriebene Abend, bei dem der Widerstand im Publikum und auf dem Podium erst so richtig spürbar wurde. Eine kleine Bestätigung für unser fragiles Experiment.
Am letzten Abend, der sich politischem Kino und der Möglichkeit nach Kontroversen widmete, gab es einen für mich sehr schönen Moment der Irritation.
Während des experimentellen Kurzfilms Man müsste Räuber sein oder zumindest Sprengmeister von Jan Bachmann, den wir vor Christoph Hochhäuslers Paranoia-Thriller Die Lügen der Sieger programmiert hatten, gab es im Saal eine hörbare Anspannung. Wir hatten mit Verspätung begonnen, weil die Vorstellung ausverkauft war und wir die Warteliste noch mit Karten versorgen wollten. Nach zehn Minuten wurde ein Lachen immer lauter und hörte nicht mehr auf. Ein Zuschauer bat die Person um Ruhe, mit dem Hinweis, wir seien im Kino. Da entgegnete diese, das sei doch gar kein Film. Mir scheint, wenn diese Wesensfrage mit solcher Inbrunst im Kinosaal gestellt wird, haben wir nicht alles falsch gemacht.”
Dennis Vetter, Programmteam Woche der Kritik:
“Auswählen, Präsentieren, Diskutieren sind Formen praktizierter Kritik. Man arrangiert bebilderte Ideen, man schließt ein und aus, man schärft ein Profil, um Filmkultur zu unterstützen und zu verhandeln. Man verschafft deutlichen Stimmen Gehör, weil sie wichtige Fragen aufwerfen. Wir haben uns gegen rund 100 Filme entschieden, zugunsten von 11 Programmbeiträgen.
Wenn jedoch Kritik selbst, das Hinterfragen von Systemen, zum Programm werden soll, was geschieht dann mit der Form? Sie müsste zerbrechen.
Für mich startete die Woche der Kritik mit dem Scheitern an der Form. Die Woche der Kritik hat versucht, dezent und verspielt, manchmal unbeholfen und ein bisschen schüchtern, die Festivalsituation zu irritieren. Im Prozess zeigte sich dann unmittelbar: Letztlich geht es in allen kulturkritischen Initiativen darum, zum Punkt zu kommen. Dass das vor dem Hintergrund unserer Kinokultur keineswegs leicht ist, zeigt die Tatsache, dass alle unsere Debatten eine Stunde überschritten, manchmal ihr Ziel erst ausloten mussten, oder es verloren.
Wir akzeptieren im Kinoraum keine Hierarchien. Wer bei uns mitredet, findet Gehör. Aber wohin führt der nächste Schritt?” 
Dunja Bialas, Programmteam Woche der Kritik:
“Wie sehr die Debatten infizieren, ja süchtig machen konnten, erlebte ich als schmerzliches Vermissen, wenn ich mich in den Raum begab, wo sie nicht stattfanden: auf dem Forum der Berlinale. Wie hier im Publikumsgespräch Filme in routinierter Manier abgefertigt und Regisseure wie Zirkuspferde vorgeführt wurden, zeigte, dass diese Art des Redens über Film keines mehr ist. Lieber dann über den Film schweigen. Infizierendes Denken: Fachbesucher der Woche der Kritik sprachen davon, unsere Debattenform weiterzutragen, auf anderen Festivals zu etablieren. Das tiefgehende Nachdenken über das, was man tut, sieht, sagt, auswählt, bevorzugt und zurückweist, entwickelte einen mitreißenden Sog.”
Die Woche der Kritik wird veranstaltet vom Verband der deutschen Filmkritik e.V. in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. 
Wir wollen an das Ende der Programmtage ein paar Zitate aus unseren Debatten stellen, ungeschliffen und aus dem Kontext gerissen.

Frédéric Jaeger - “Ulrich Gregor, I heard that you were offered, at least once, to become the head of the Berlin International Film Festival by the Berlin senate. And you refused.”
Ulrich Gregor - “Yeah, sure. There was such a possibility. But I said no, because I don't want to enter into an area which is not my area and where I have to make compromises, submit to pressures maybe and negotiate with people whom I don't like or have no connection with, where I have no feeling for their work or their output. It is a completely strange area for me.”

Hans Hurch:
"I'm not interested in film culture at all. (pause) I'm interested in the revolution. (laughter) It sounds very old fashioned. I'm not interested in film culture – I'm interested in changing the world. I know that I'm not strong enough, that I'm a petit bourgeois, that I can't do it by programming films but at least I got a little idea in the back of my head.”

Daniel Hoesl:
“A movie can be a gun. And we try to shoot them, you know. The movies and the bankers. And that's it.”

Rüdiger Suchsland:
“If people talk too much about politics, they want to avoid to talk about aesthetics.”

Jan Bachmann:
“When you ask why in film schools they don't experiment with forms, there is a very easy answer. Because if you experiment with forms, as we do it in the moment, it means that you're doing films as a hobby and not as a job. It's very simple, it's very clear. You know it when you start a project like this, it's not gonna have any perspective on the market. […] You take the risk by yourself, this is the point.”

Daniel Hoesl:
“If you have something to say, you have to do it. Don't complain about the system, change the system by doing something that makes the system rethink.”

Alfred Behrens:
"This country has been invaded, totally, by market-fundamentalism. [...] I encourage the students to resist the urge to write something that brings money.”

Katrin Eissing kommentiert für das Revolver Blog:
"Auch viele Filme gucken, darüber schreiben und endlos Quatschen hilft nicht. Weinen nützt manchmal, oft auch nicht. Dichten nützt. Der Versuch schon. Wenn nicht dir, dann uns Anderen (wie du siehst). Geschichten und blöde Gedichte schreiben, sie teilen, ist nicht 'wichtig' sondern so etwas wie essen und trinken." 

Das komplette Programm finden Sie in detaillierter Ausführung auf unserer Webseite www.wochederkritik.de. Die Debatten zu den einzelnen Abenden befinden sich zusätzlich auf unserem Youtube-Kanal.

Deniz Sertkol
Pressebetreuung
presse@wochederkritik.de
Tel. +49 (0)30 440 414 43
Woche der Kritik

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